I wanna go home
Julie Hayward – Stift Ossiach
Silvie Aigner

Julie Hayward wurde 1968 in Salzburg geboren und studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Die Künstlerin arbeitet mit Kunststoffen, Metall und weichen Materialien wie Textil und Schaumstoff. Sie spielt dabei bewusst mit der unterschiedlichen Wahrnehmung und der Haptik ihrer Oberflächen und den mit den Materialien verknüpften Assoziationen. Haywards Installationen umfassen die Medien Skulptur, Zeichnung und Fotografie und verbinden diese, so Peter Baum, zu „ungewöhnlichen, philosophisch orientierten, technoid-surrealen Statements“ . Ihre Objekte, die biomorphe Strukturen mit technoiden Formen kontrastieren, haben in den letzten Jahren den Begriff der zeitgenössischen Skulptur in Österreich wesentlich mitgestaltet. Das Zusammenspie- unterschiedlicher Materialien sowie die perfekte Ausführung lassen sie „wie kosmonautische und utopische Gebilde erscheinen“, schrieb Walter Seidl in seinem Text „Home Sweet Home“ über die Arbeiten von Julie Hayward.  Das Maß ihrer Skulpturen orientiert sich dabei an ihrer eigenen körperlichen Dimension. Der Bezug zur menschlichen Größe ist der Künstlerin wichtig, auch im Hinblick auf die BesucherInnen, die sich um diese Skulpturen bewegen und sie räumlich und körperlich wahrnehmen.

Fragen nach der Heimat und dem Zuhause sind immer wiederkehrende Themen im Werk der Künstlerin. In der Ausstellung „I wanna go home“ greift Julie Hayward die verschiedenen Aspekte des „Heimkommens“ auf. Diese implizieren die Sehnsüchte, Ideale, sozialen Kodierungen und die Illusionen, die damit verbunden sind. Dabei spielt für die Künstlerin Humor eine wichtige Rolle sowie eine zu den eigenen Arbeiten auf Distanz gehende kritische Ironie, die auch in ihren Titeln zum Ausdruck kommt. „Das Daheim-Sein in der Welt, oder besser: die Suche nach dem Heim, schließt auch das Un-Heimliche mit ein“, so der Kulturpublizist Andreas Höll, „im vertrauten Zu-Hause verbirgt sich stets das unbekannte Draußen, das Fremde. An diesem kritischen Punkt setzen die Arbeiten von Julie Hayward an. Sie spielen mit der vielschichtigen Spannung von Nachhausekommen und Verlorensein, von Zu-sich-Kommen und Selbstentfremdung, von der Begegnung mit dem Bekannten und der Verfremdung.“  Das Unheimliche wird mit bekannten Gefühlen und Assoziationen des Alltags verbunden und ironisch-humorvoll in ihre Formensprache übersetzt. Es ließe sich auch sagen, so Lucas Gehrmann: „Julie Hayward bringt zwei Sprachen zusammen, die sich in unserer Zivilisation in einem (ungerechtfertigten) Ungleichgewicht befinden: die rationalistische Logik (als das dominante, weil allgemein erlernbare System zur »Beschreibung« von Welt) und die (nicht determinierte) Logik des poetischen, kreativen, emotionalen Denkens.“  

Julie Hayward entwirft in der Ausstellung eine Versuchsanordnung möglicher Be-ziehungsmodelle und setzt unterschiedliche, mit dem Thema zusammenhängende Werkgruppen wie „I wanna go home“, „shelter“, „…elsewhere“, „big mama“, „Aequilibration“ oder „Catch me if you can“ in ein inhaltliches wie formales Spannungsfeld. Die Künstlerin spricht über den mechanischen Prozess hinaus vor allem eine emotionale, psychische Ebene an und bezieht sich speziell in der Arbeit „Aequilibration” auf den Schweizer Psychologen Jean Piaget, der den ursprünglich aus der Biologie stammenden Begriff „Äquilibration“, was soviel wie „ins Gleichgewicht kommen“ bedeutet, in die Entwicklungspsychologie übernahm. Das Objekt wirkt fragil und scheint jeden Moment zu kippen, ein Teil liegt bereits daneben. Neben den inhaltlichen Assoziationen wird auch die der Skulptur immanente Stabilität aufgehoben. Julie Hayward interessiert in diesem Zusammenhang vor allem jener Prozess, der notwendig ist, sich in Relation zur Umwelt bzw. zur Gesellschaft oder auch zur eigenen Emotionalität im Gleichgewicht zu halten. Gleichzeitig zeigen ihre Skulpturen jedoch, dass dieser Zustand der Stabilität stets nur für einen kurzen Moment erreichbar ist.

Die einzelnen Kugeln der Skulpturen „...elsewhere“ und „big mama“ im Musikzimmer stehen für die Bestandteile des Selbst, die immer wieder eingesammelt werden müssen. Die Skulptur „big mama“ zeigt deutlich die für die Arbeiten von Julie Hayward typische Ambivalenz der Lesbarkeit. Einerseits gemahnt der Titel an den Ursprung des Lebens, während die Form des Objekts durchaus etwas Aggressives, Martialisch-Technisches vermittelt. Demgegenüber steht die Leichtigkeit von „...elsewhere“. Diese Skulptur verweist bereits durch den Titel auf einen anderen Ort, der im Diffusen liegt. Es bleibt offen, ob damit etwas Vertrautes oder Unbekanntes gemeint ist. Während die Kugeln von „big mama“ in einer scheinbar sicheren Hülle geborgen sind, geraten jene von „... elsewhere“ durch die Fäden in Bewegung, um in der Folge wieder in den Schüsseln sorgsam verwahrt zu werden. Beide Arbeiten thematisieren auch die Pole des emotionalen Bewusstseins zwischen verhaltener Introvertiertheit und einer dynamischen Bewegung nach Außen, die durch den Ausblick auf den See noch eine zusätzliche Ebene anspricht. Ebenso verheißt die Skulptur „shelter“ im Foyer Geborgenheit, was zugleich jedoch durch die Oberfläche, die an orthopädische Heilbehelfe erinnert, und das schwarze Innenleben der Skulptur kontrastiert wird. In den beiden neuen Arbeiten „I wanna go home“ und „Catch me if you can“ gerinnen die einzelnen Kugeln zu einer zähen Masse, die sich immer wieder transformiert, verändert und letztlich nicht mehr zu fassen ist.
„Catch me if you can“ thematisiert dabei einmal mehr das Motiv des Gleichgewichts Die Skulptur spielt auf die Intention an, einen Zustand - auch wenn es nur ein Augenblick ist - festzuhalten und keine Veränderungen zuzulassen, doch das Selbst führt ein Eigenleben und widersetzt sich jeglichem Versuch, von außen in eine Form gebracht zu werden. Die titelgebende Arbeit der Ausstellung „I wanna go home“ erinnert an eine kippende Abschussrampe oder an „eine zurückgebliebene, am Boden haftende und ausrinnende Hülle eines Fluggerätes. Das Innenleben ist bereits fort. Ein Teil musste zurückbleiben - oder ist der Versuch zu starten überhaupt gescheitert?“ (Julie Hayward) Das Objekt stellt darüber hinaus auch die Frage des Nachhausekommens im Tod, in dem ein so genanntes „Heimkehren“ endgültig wird. Doch wirkt das Objekt auch wie eine Bohrplattform, die durch das Material und seine Größe etwas Wesenhaftes erhält. Hier wird deutlich, dass die Künstlerin keine Interpretationen für ihre Objekte vorgeben möchte und heterogene Themen die Formfindung prägen. In Stift Ossiach verbindet sich die in die Höhe strebende Skulptur darüber hinaus mit der Apotheose des Benediktussaales und erhält dadurch neue mögliche Bedeutungen.

Die Präsentation von Zeichnungen im Musikzimmer verweist darauf, dass Julie Hayward ihre Objekte zunächst im Medium der Zeichnung konzipiert, wobei nicht alle der auf dem Papier „erarbeiteten“ oder „erdachten“ Skulpturen dann tatsächlich umgesetzt werden bzw. sich in der Umsetzung auch wieder neue Formen ergeben. Julie Hayward selbst bezeichnet die Entwicklung der Skulpturen mittels des grafischen Vorgangs als „automatisch“ oder „automatistisch“ und deutet damit auch auf die Unmittelbarkeit des zeichnerischen Prozesses hin. Die meisten Zeichnungen entstehen auf DIN A4-Schreibmaschinenpapier und sind mit Fineliner oder mit Tusche gearbeitet. Doch wenngleich die Wahl des Papiers etwas Skizzenhaftes nahelegen würde, so entziehen sich die stets perfekt und exakt ausgeführten Zeichnungen einer Interpretation als schnelle Notiz oder Entwurf, sondern stellen eine Verbindung dar zwischen äußeren und inneren Bildern. „Haywards Skulpturen sind Ort-Zeit-Raum-Träume, die zwischen verschiedenen Dimensionen fließen und einen Transfer zwischen äußeren und inneren Bildern in Gang bringen und mitunter sogar eine fortlaufende Geschichte erzäh-len. Bei allem Sinn für Ironie und - auch - Humor geht es bei den Skulpturen Julie Haywards niemals um das platte Illustrieren psychoanalytischer, biotechnischer oder medientheoretischer Diskurse. Die Objekte sind offen ge-nug, um eine Brücke zu noch unbewussten Ausformungen der Lebenswirklichkeit zu schlagen.“  

SBKT190508
Die Ausstellung wird im Außenraum durch die Steinskulptur „SBKT190508“ ergänzt. Die Skulptur aus Krastaler Marmor entstand im Rahmen des Symposions „Pathfinder“ im Steinbruch Lauster im Krastal bei Treffen, in regionaler Nähe zu Ossiach. Die Skulptur wurde nicht aus einem geschnittenen Block, sondern aus einem Findling herausgearbeitet. Das Konzept wurde zunächst mittels Zeichnung entworfen und dann ein geeigneter Stein im Steinbruch gesucht, mit dem die Idee auch umgesetzt werden konnte. „Ich wollte das Material einbeziehen und verschiedene Aspekte herausarbeiten, aber keine Form schneiden. Der Stein musste Ecken und Kanten haben, um die Auslässe für die Metallschläuche herausarbeiten zu können. Daraus »rinnt dann gewissermaßen der Stein aus« und bildet am Ende der Schläuche Pfützen. Ich wollte dem Pathos, das für mich bislang mit dem Material verbunden war, etwas Humorvolles entgegen setzen und das in einem außergewöhnlichen, großen Maßstab. Ich habe mich in der Vorbereitung intensiv mit der Dokumentation von Meteoriten auseinandergesetzt. Diese werden oft nach ihren Fundorten benannt und mit dem Datum ihrer Auffindung bezeichnet. SBKT bedeutet demnach Steinbruch Krastal, und 190508 ist das Datum, der 19. Mai 2008, als wir den geeigneten Findling für meine Arbeit gefunden haben.“


1 Peter Baum, Julie Hayward, in: Katalog Museum Liaunig, Neuhaus/Suha 2008, S. 182
2 Siehe dazu Walter Seidl, »Home Sweet Home« - Ironie der Gefühle, Ausstellungsfolder, Projektraum Viktor Bucher, Wien 2007, o. S.
3 Andreas Höll, Coming Home oder Ankunft in der Fremde, in: Julie Hayward Skulpturen und Zeichnungen, Wien 2005, S. 6
4 Lucas Gehrmann, Aequilibration II, Ausstellungsfolder, Projektraum Viktor Bucher, Wien 2009, o. S.
5 Andreas Höll, Coming Home oder Ankunft in der Fremde, a. a. O., S. 8/9