Skulpturen als Sichtbarmachung von Parallelwelten
Gespräch zwischen Sabine Schaschl und Julie Hayward beim Gang durch die Ausstellung „Subliminal“ (Projektraum Victor Bucher, Wien, 2014)
SSCH: Wir sind auf Deiner Ausstellung mit dem Titel „Subliminal“ und stehen vor der Skulptur Let’s dance. Bei dieser Arbeit berühren sich zwei Ringe, über die jeweils eine Art Vorhang geworfen ist. Ich dachte sofort daran, dass die Skulptur einen Auftritt vollzieht und dabei gleichzeitig das Auftreten selbst und die Bühne zum Thema macht. Ebenso wird die Frage evoziert, was hinter dem Vorhang stecken und was daraus hervorkommen könnte. Die Skulptur aktiviert also ganz stark Imagination, Vorstellungskraft und Assoziationsvermögen und rührt an eine psychologische Komponente in unserer Wahrnehmung. Auch in Deinen früheren Arbeiten war diese ein wichtiger Bestandteil. Inwieweit kannst Du solche Assoziationen beziehungsweise ihre Auslösung beim Rezipienten steuern?
JH: Die Assoziationen der Betrachter sind sehr unterschiedlich. Die Skulpturen werden aus Zeichnungen entwickelt, wobei Gestalten oder Formen entstehen, die sich aus verschiedenen vertrauten Bestandteilen zusammensetzen, aber etwas Neues formieren, was man nicht eindeutig beschreiben kann. Jeder deutet die Arbeit auch durch seine eigene Geschichte. Es ist keine eindeutige Interpretation möglich, und das ist auch nicht beabsichtigt. Natürlich erinnert die Arbeit auch an einen Vorhang, aber für mich ist eine andere Assoziation näherliegend. Let’s dance ist eine Weiterentwicklung aus vorangegangenen Zeichnungen und Skulpturen, in denen solche Pfützenformationen vorkommen, zum Beispiel bei der Arbeit I wanna go home: Da geht es auch um die Hülle, die zurückbleibt und am Boden festklebt in einer Art Pfütze; das Wesentliche scheint da schon weg zu sein. Bei Catch me if you can sieht die Pfütze wie eine Haut aus, in der etwas Lebendiges ist. Eine Klammer steht für den Versuch, dieses etwas zu fassen, es unter Kontrolle zu bringen, aber das ist unmöglich. Es geht hier um etwas, das oft auf einer psychischen, für uns unsichtbaren Ebene passiert.
SSCH: Die vermeintliche Pfütze als ein Stück Haut, die ihren originalen Zustand verlässt und vorübergehend eine andere Form annimmt?
JH: Für mich sieht es bei Let’s dance so aus, als würde diese Haut durch eine Kraft hochgehoben und in Form gebracht werden. Und durch die Ringe wird sie in Form gehalten. Was wäre, wenn die Ringe nicht wären – würde dann alles in sich zusammenfallen? Was wäre, wenn die Klammer, die wiederum die zwei Ringe zusammenhält, nicht wäre – halten die nur einander, oder erhalten sich diese Wesen allein dadurch, dass sie aneinandergebunden sind? Relativ brutal verschraubt?
SSCH: Mit der Arbeit ist also auch das Thema Balance verbunden. Wenn ein Teil aus dem Gesamtgefüge fehlen würde, sähe die Arbeit nicht nur anders aus, sondern würde in sich wahrscheinlich nicht stimmen.
JH: Ja, jedes Detail ist wichtig, da halte ich mich sehr stark an die Zeichnung, die der Arbeit zugrunde liegt. Wenn ich das tue, dann funktionieren meist die Skulpturen auch. Die Assoziation mit der Balance, mit dem Gleichgewicht ist interessant, weil dies ein Thema ist, das in den Arbeiten wiederkehrt. Zum Beispiel in Aequilibration, die mit ihren aufeinandergestapelten biomorphen Rädern aussieht wie eine biologische Struktur. Aequilibration hat in sich etwas sehr Wackeliges, Thema ist das Ins-Gleichgewicht-Kommen auf einer psychischen Ebene. Das Gleichgewicht scheint nur ein Übergangsmoment zum Ungleichgewicht zu sein. Das Gleichgewicht ist ebenso Thema bei der Skulptur Ohne Titel hier in der Ausstellung. Die Skulptur ist, obwohl sie jetzt sehr massiv dasteht, sehr leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, sie findet aber auch sehr schnell wieder ihren Halt. Auch bei Let’s dance würden die Einzelteile vermutlich ohne den Halt der Klammer kippen. Anders ist es bei den Arbeiten I wanna go home, die demnächst zu kippen scheint, oder Home on Legs, die auf sehr wackeligen Beinen steht.
SSCH: Ist diese Balance, die Hinterfragung nach einem Equilibrium, also etwas, was Du für die inhaltliche und formale Komposition Deiner Werke suchst? Und was ist es, was Dich an diesem Thema fasziniert?
JH: Mich interessiert das Thema nicht nur bei den einzelnen Arbeiten, sondern auch in Bezug auf ihre Anordnung und Installation – also wie die Arbeiten zueinander angeordnet sind, sich ergänzen oder ausgleichen. In der Ausstellung „Aequilibration“ wird das Thema der Balance auf beiden Ebenen angesprochen, inhaltlich und in der Anordnung. Zu der titelgebenden Arbeit Aequilibration habe ich die hängende Arbeit Pounding Flow entwickelt. Aequilibration war zuerst entstanden, als Auftragsarbeit für die Ausstellung „Biomorph“ im Kunsthaus Graz. Später habe ich eine eigene Ausstellung um diese Arbeit entwickelt. „pounding flow“ heißt „fließend auf etwas einhämmern“. Die Arbeit sieht aus wie ein Kriegsgerät aus einem Science-Fiction-Film und vermittelt für mich etwas Aggressives. Sie ist genau der Gegensatz zu Aequilibration, die dieses Gleichgewicht-Suchende, Fragile beschreibt, was ja auch für einen psychischen Zustand steht. Der Begriff Aequilibration, mit „Ae“ geschrieben, kommt aus der Psychologie, mit diesem Phänomen hat sich Jean Piaget befasst. Diese Sehnsucht, im Gleichgewicht zu sein, ist eine Illusion, da es etwas ist, was sich permanent verändert. Das Im-Gleichgewicht-Sein ist immer nur ein kurzer Zustand zwischendurch. Pounding Flow verkörpert eine Kraft, die immer dagegen arbeitet und die einen auch aus der Bahn werfen kann. Bei den meisten Ausstellungen ist es so, dass ich Arbeiten zusammenstelle, die miteinander korrespondieren und so eine Geschichte erzählen. Hier in der Ausstellung „Subliminal“ stehen sich eine eher fragile und bewegliche Skulptur und eine massive, statisch-strenge Skulptur gegenüber.
SSCH: Es geht also um ein In-Balance-Bringen der Arbeiten zueinander, um ihre Inszenierung. Die Bühnenhaftigkeit von Let’s dance ist für mich immer noch eine Beobachtung, die mich nicht loslässt. Auch hat die Skulptur etwas extrem Körperliches, sie zieht den Betrachter auf physische Art in Bann. Das hat sicherlich mit ihrer Größe zu tun, aber auch mit dem Bewegungsmoment, das von der Platzierung der Ringe und der darübergelegten Vorhang- oder Hautstruktur bestimmt wird. Die Tatsache, dass zwei korrespondierende Formen miteinander im Dialog sind, verstärkt den Eindruck von Bewegung.
JH: Für mich ist es interessant, dass du die Bühne ansprichst, das hat bisher niemand so gesehen. Aber es stimmt, die Arbeiten werden auch immer inszeniert. Und Bewegung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.
SSCH: Auch Ohne Titel, deiner zweiten Skulptur hier auf der Ausstellung, scheint eine Bewegung innezuwohnen – diesmal würde ich von einer „Wiegebewegung“ sprechen. Kannst Du etwas dazu erzählen, wie Du Bewegung konzipierst beziehungsweise was die Bewegungsassoziation der Skulptur für Dich bedeutet?
JH: Viele meiner Arbeiten lassen Bewegung assoziieren, oder einen Prozess oder Produktionsvorgang. Das ist mir auch schon bei früheren Arbeiten aufgefallen. Sie wirken wie ein Einzelbild aus einem Film oder wie festgefrorene Phasen eines Bewegungsablaufs, wo man sofort beginnt, die Bewegung oder den Prozess weiterzudenken beziehungsweise wo man fast gezwungen ist, sich zu überlegen, was hier gerade passiert ist oder passieren wird. Durch die Fragestellungen, die hierbei auftauchen, ist man geistig sofort in der Arbeit drinnen, wie Du zu Anfang bereits erwähnt hast. Deshalb habe ich auch dieses kleine, witzige Video Suck gemacht, das ebenso hier in der Ausstellung zu sehen ist.
SSCH: Du bringst in diesem Video eine Deiner Skulpturen dank Computeranimation in Bewegung. Das hat durchaus etwas von Pygmalion, der es mit Hilfe der Götter schafft, seine Skulptur lebendig werden zu lassen. Ist das eine Möglichkeit für Dich, den Skulpturen Leben einzuhauchen?
JH: Das ist ein älteres Video und ich habe nur dieses eine gemacht. Die Arbeit Suck versucht hier durch die Bewegung immer wieder, sich festzuhalten. Ich fand das Video in Verbindung mit dieser Ausstellung passend, weil darin auch dieses Komische vorkommt, das in allen Arbeiten enthalten ist. Weiters steht das Trashige der Art, wie es gemacht ist, in großem Gegensatz zu den Skulpturen, die extrem ausgefeilt sind.
SSCH: Auf alle Fälle zeugt das Video davon, dass Du Humor zulässt.
JH: Ja, auf jeden Fall! Humor ist ein ganz wichtiger Aspekt bei meinen Arbeiten. Ich finde den Humor ganz wichtig, um eine Distanz zu bekommen zu dieser Ernsthaftigkeit, die ins Existenzielle geht und die die Arbeiten teilweise auf einer emotionalen Ebene für mich haben.
SSCH: Auch deine Arbeit Ohne Titel besticht sofort durch den Eindruck, körperlich zu wirken.
JH: Das hat auch mit der Größe zu tun. Bei den Skulpturen ist auch diese wesentlich; sie ist ganz bewusst so gewählt. An der Größe arbeite ich relativ lange, bis diese wirklich stimmt.
SSCH: Mit der Frage der Größe hängt vieles in der Wirkung der Skulptur zusammen. Kannst Du das noch näher ausführen?
JH: Die Größe hat immer einen Bezug zum menschlichen Körper. Am Anfang steht bei mir immer die Zeichnung, dann mache ich ein kleines Modell, weiters ein Kartonmodell, um die richtige Größe zu finden. Hier bei der Skulptur Ohne Titel ist die obere Öffnung auf Augenhöhe gebracht, bei Aequilibration ist es der Armumfang. Die Arbeiten Shelter und Home on Legs orientieren sich an meiner eigenen Körpergröße – in beide würde ich hineinpassen. Das ist vielleicht ein formaler Aspekt, der aber in der Wahrnehmung sehr wichtig ist, denn dadurch gewinnen die Skulpturen etwas „Menschliches“. Die Zeichnungen sind dagegen perspektivisch alle nicht richtig, und sehr oft sieht man sie von oben – warum das so ist, weiß ich nicht. Das dürfte irgendetwas mit bildhauerischer Wahrnehmung, dreidimensionalem Denken, dieser Art des Zeichnens zu tun haben. Und mir ist eben wichtig, wie hier bei der Arbeit Let’s dance, dass ich auch in der Skulptur diese Draufsicht habe. Sobald du die Skulptur eine Spur höher machst, größer, ist die Draufsicht abgeschnitten. Du kannst nicht mehr einsteigen, sozusagen.
SSCH: Der Prozess von der Idee zur Skulptur verläuft demnach über drei Schritte: Zeichnung, Modell und Ausformung der Skulptur?
JH: Zeichnung, kleines Modell, neuerdings auch immer ein Kartonmodell. Früher habe ich von der Originalzeichnung mittels eines ganz altmodischen Systems der Rasterung eine 1:1-Zeichnung angefertigt, um diese in eine Dimension zu bringen, wo ich sie mir als Skulptur vorstellen kann. Von der Arbeit Ohne Titel gab’s zwei große Karton-Modelle, einmal eine Spur zu klein, das andere Mal eine Spur zu hoch. Die exakte Größe ist auch bei so einer massiven Skulptur wesentlich.
SSCH: Die Zeichnungen erwecken den Eindruck, als ob sie bereits sehr definierten Ideen entspringen. Gibt es noch so etwas wie Skizzen, in denen eine Form erarbeitet wird?
JH: Bei den Zeichnungen ist es, weil ich schon so viele gemacht habe, mittlerweile so: Wenn ich beginne zu zeichnen, tauchen am Anfang aus meiner Sicht uninteressante Sachen auf. Dann gibt es aber den Punkt, wo etwas – was auch immer es ist – greift, ob das die Konzentration ist oder das In-dem-Moment-Sein. Da tauchen dann neue Elemente auf, die ich spannend finde. Die Zeichnungen, bei denen etwas auftaucht, was ich noch nicht kenne, interessieren mich. Ich lege dann ein Blatt auf das andere, nehme diese Teile auf und führe sie wieder weiter. Manchmal ist die Zeichnung auf Anhieb da, manchmal ist es ein Prozess, aber es hat nicht die Leichtigkeit, die es zu haben scheint. Viele Skizzen werfe ich weg.
SSCH: Die Arbeit Ohne Titel besteht aus zwei Teilen – der großen Skulptur ist noch eine kleinere, mehrgliedrige Arbeit zugeordnet.
JH: Auch auf der Zeichnung bereits liegen diese Teile daneben. Für mich war es dann eindeutig so, dass es so aussieht, als wären die Teile von dieser Form ausgestanzt worden. Also wie auch immer man das sieht, ob das jetzt Gesichter sind, die verschiedenen Identitäten – wenn ich das so beschreibe, wird das für mich fast zu banal. [lacht]
SSCH: Für mich ist es mehr ein körperliches Empfinden von „Kopf“, ich meine nicht ein ausgeformtes, figuratives Gesicht. Wenn ich diese zwei Skulpturen betrachte, dann spüre ich unmittelbar eine Beziehung zu meinem Kopf und ich konzentriere mich für eine Sekunde auf meinen Kopf, ohne dort Gesichter zu sehen. Und wenn man über die Körperzone der Skulptur spricht, breite ich sofort meine Hände aus, um zum Ausdruck zu bringen, wie ich das Volumen der Skulptur empfinde. Es gibt also einen kurzen Moment einer nachempfundenen physischen Wahrnehmung. Irgendwie ist es wie mit der Malerei von Maria Lassnig, die das betont, was sie körperlich spürt.
JH: Den Bezug zu Maria Lassnig finde ich sehr schön, weil ich ein großer Fan ihrer Arbeit bin und mich natürlich auch mit ihr beschäftigt habe. Bei Maria Lassnig hat das Vermitteln von Emotionen neben der Form auch viel mit Farbe zu tun – bei ihr steht jede Farbe für ein bestimmtes Gefühl. Ich habe selbst auch schon darüber nachgedacht, ob es hier eine Parallele gibt, aber auf einer formalen Ebene. Sie ist eine Malerin und ich bin eine Bildhauerin. Ich verwende fast keine Farben, viele meiner Arbeiten sind in letzter Zeit schwarz oder hautfarben. Das Vermitteln der Emotionen passiert bei mir hauptsächlich über die Form, die Größe, die Oberflächen und die Anordnung der Arbeiten zueinander. Die Farbe spielt hier auch eine Rolle, aber mehr über das vermeintliche Material und was dieses assoziieren lässt.
SSCH: Du hast in die Ausstellung auch ein Foto integriert, das einen eingebundenen Baum zeigt. Auch hier wird sofort eine Körperverbindung klar – man denkt an eingebundene Füße und kann sogar ein Stand- und Spielbein erkennen.
JH: Es gibt in letzter Zeit eine neue Fotoserie mit gefundenen Skulpturen oder Installationen, die im weitesten Sinne auch mit dem bildhauerischen Blick zu tun haben. Bei diesem Foto, von dem wir gerade sprechen, konnte ich assoziativ zu der Arbeit Let’s dance eine Verbindung herstellen. Dadurch, dass Let’s dance neben dem Pfützenartigen auch so etwas Schweres, auch Gummiartiges hat, sehen sie zwar aus, als wollten sie tanzen, zugleich haften sie aber am Boden fest. Die Baumstämme schauen aus wie Standbein-Spielbein, und die herumgewickelten Fetzen habe ich mit Ballettstrümpfen beziehungsweise Beinwärmern assoziiert. Die „Beine“ sehen so aus, als würden sie jederzeit beginnen sich zu bewegen, was sie aber nicht können, da sie festgewachsen sind. – Dazu möchte ich Dir noch die Wandzeichnung im Vorraum zeigen, weil sich da noch einmal eine Brücke schlagen lässt … Bei einigen Skulpturen kam diese Kistenform vor, zum Beispiel bei TV-Baby. Diese Kistenform ist aber immer ausgelagert, und es ist so, als ob diese ausgelagerte neben der biomorphen Form für eine Struktur steht. Bei dieser Zeichnung hier sind nur noch die Kisten zu sehen und eine Verbindung, die ganz lose ist. Normalerweise ist da eine biomorphe Form und eine sehr rigide Verklammerung, um diese in Form zu halten, oder vielleicht, um dieser Struktur zu geben.
SSCH: Gerne würde ich nochmals auf den Stellenwert der Fotos in Deinem Werk zu sprechen kommen. In Deinen Ausstellungen sind häufig Fotos integriert, die eine thematische Verbindung mit den Skulpturen zeigen. Ich habe mich gefragt, ob Du bei jeder neuen Werkgruppe das Thema quasi in den Alltag mitnimmst, und wenn Du eine Entsprechung dazu findest, diese als eine Art Skizze verwendest und später ins Werk integrierst. Die Fotos docken demnach an der realen Welt an, während die Skulpturen eine sublimierte Form davon darstellen. Kannst Du diese Verbindung von realer Welt und jener, in denen Deine Skulpturen ihre Erscheinungs- oder Existenzform finden, näher ausführen?
JH: Die Skulpturen bewegen sich für mich nicht nur im Bereich der Kunst, sie sind für mich sehr real. [lacht] Das ist etwas, womit ich lebe und was Teil meines Lebens ist. Mit der Zeit habe ich eine Formensprache entwickelt, oder sie ist einfach da, wie auch immer man das sehen will – aber diese Realität ist genauso existent. Auch die Parallelwelt, die sie beschreiben, ist etwas, was existiert, auch wenn sie nicht sichtbar ist. Die Skulpturen sind wie eine Art Sichtbarmachung. Natürlich nie eindeutig für etwas Bestimmtes – aber sie beschreiben für mich etwas, womit ich mich beschäftige. Es ist nicht so, dass es ein Thema gibt, zu dem ich mir etwas überlege, sondern alles beginnt mit der Zeichnung. Wenn ich die Arbeit entwickle, weiß ich am Anfang noch nicht, was das eigentlich ist. Es gibt eine Zeichnung, die mich aus irgendeinem Grund interessiert oder die ich spannend finde, und ich merke, das muss etwas sein, was mich momentan sehr beschäftigt – und vielleicht nicht nur mich: manchmal denke ich, dass das über das Persönliche hinausgeht. Der Pool, aus dem diese Formen kommen – die Formen, aus denen sich die Skulpturen zusammensetzen –, ist aus meiner Sicht im Unterbewusstsein allgemein verankert. Wenn ich eine Arbeit entwickle, denke ich darüber nach, was das eigentlich ist – und irgendwann einmal, bei der Titelgebung, die wichtig ist, suche ich nach dem, oder versuche es zu verstehen. Dann gibt’s den Punkt, wo der Titel für mich ganz klar ist, und dann lese ich manchmal auch noch über das Thema nach – wie zum Beispiel bei Aequilibration. Dann kommt der Moment, wo ich denke: Ja, das beschreibt wirklich genau das, was die Arbeit für mich darstellt. Dieser Moment, wo sich das auflöst, ist für mich ein Schlüsselerlebnis und eine Notwendigkeit, denn alles unaufgelöst mit mir herumzutragen, ist nicht gerade angenehm. Es ist, als ob Du etwas in Form bringst, es klar vor die siehst, Dir dazu Gedanken machst und es dann wegstellen kannst und eine Distanz dazu einnimmst. Dabei spielt dann auch der Humor eine wesentliche Rolle. Der Prozess ist genauso, wenn ich weitere Arbeiten dazuentwickele: Ich setze mich nicht hin und überlege mir, was ich jetzt machen könnte, sondern schaue in mein Zeichnungsarchiv, das sehr umfangreich ist. Die Fotos entstehen davon unabhängig. Vielleicht haben sie durch die selektive Wahrnehmung mit dem Thema, mit dem ich mich momentan beschäftige, zu tun. Manchmal gibt es Fotos, von denen ich denke, dass sie mit dem Inhalt der Ausstellung formal oder auf einer emotionalen Ebene zu tun haben und das Thema auf einer anderen Ebene weiterführen.
SSCH: Etwas, worauf ich gerne zu sprechen kommen möchte, ist die Präzision, mit der Du Deine Werke konzipierst und umsetzt. Du hast eine Idee, ein Thema, das Dich beschäftigt, überlegst die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung und entscheidest Dich mittels präziser Überlegung für die eine tatsächlich richtige Umsetzung?
JH: Am Anfang steht nicht die Idee, wie wir bereits besprochen haben, sondern die Zeichnung. Durch die Zeichnung habe ich einen Zugang zu unterbewussten Ebenen, die ich mir nicht vorstellen kann und zu denen ich auch im Traum keinen Zugang habe – ich habe noch nie in einem Traum eine dieser Formen von mir gesehen. Das finde ich interessant, es muss also eine ganz bestimmte Ebene geben, wo all das, was man aufnimmt, in Formen oder Bildern abgespeichert wird. Ich stelle mir das vor wie ein Alphabet auf einer bildlichen Ebene. Hier muss ich Jan Starobinski erwähnen, der meinte, der psychische Automatismus ist eine Möglichkeit des Zugangs zu dem Gedanken im ursprünglichen Zustand. Also ist das, was mich beschäftigt, hier bereits angelegt, und in einem bestimmten Moment der Konzentration kann sich das über das Zeichnen, die Linie zu einem Bild formen. Es ist eigentlich wie eine eigene Sprache, die ich selbst erst verstehen lernen musste. Bereits in der Zeichnung kann ich die Arbeit, wie sie aussehen wird, gut erkennen, und das Material spüren. Wenn es dann um die Umsetzung geht, so ist das ein langwieriger Prozess: Erst kommen die verschiedenen Modelle, über die wir gesprochen haben. Dann arbeite ich die Form in Originalgröße heraus, fertige Negative an und laminiere den Rohkörper, und zuletzt die passende Oberfläche. Die Oberfläche sagt sehr viel aus, ob es Lack, Kunstleder oder doch eine weiche Oberfläche ist – oder eben nur eine optisch weiche, um in die Irre zu führen. In letzter Zeit hat sich die Oberfläche auch oft auf einen schwarzen Lack reduziert, der wie Gummi aussieht; wie der aufgetragen werden muss, um so auszusehen, ist wieder eine eigene Wissenschaft. Weiters muss jede Verbindung stimmig sein, ob die Schraube versenkt ist oder nicht, ob die Verbindung sichtbar ist oder nicht, und dann die Art, wie etwas hängt – jedes Detail ist wichtig.
SSCH: Bereits seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass sich in Deinem Werk eine stärkere Verdichtung in der visuellen Sprache abzeichnet. Die Skulpturen sind minimaler in ihrer formalen Umsetzung und weniger erzählerisch.
JH: Das sehe ich auch so. Was ich beobachte, ist das, was in der Zeichnung passiert. Du kennst ja auch die früheren Zeichnungen – die waren sehr erzählerisch und verspielt. Je länger ich das mache, desto einfacher werden die Formen und reduzierter die Zeichnungen. Früher habe ich bei der Umsetzung der Zeichnung in die Skulptur häufig einiges weggelassen, was auf der Zeichnung zu sehen war. Ich habe mir damals gedacht, es könnte interessant sein, ganze Installationen, Environments daraus zu entwickeln, was ich dann aber nicht umgesetzt habe. Mittlerweile sind die Zeichnungen – ohne Absicht – sehr auf eine in sich abgeschlossene Form reduziert.
SSCH: Bei den Arbeiten Kitzelkorsett und Home on Legs beispielsweise ist die angesprochene Reduzierung sehr gut ausformuliert. Ebenso ist die körperliche Komponente wiederum sehr stark ausgeprägt. Einmal scheint der Körper wie korsettmäßig gefangen, und bei Home on Legs wird der körperliche Moment in Form von Architektur beziehungsweise Behausung betont. Das Thema Körper zieht sich wie ein roter Faden durch dein Werk.
JH: Diese Kiste auf den Beinen ist genau der engste Raum, der mich umschreibt, wenn ich in Seitenlage liege. Es geht da um die Vorstellung eines Rückzugsortes. Der ist natürlich klein und eng und hat zusätzlich Löcher. In der Vorstellung kann man da hineingreifen. Die Arbeit hat viel mit Grenzen, Abgrenzung und Rückzug zu tun – aber eben auf sehr wackeligen Beinen. Die Arbeiten sind nicht so angelegt, dass man sie wirklich benützen kann.
SSCH: Du hast vom „Hineingreifen“ gesprochen, womit wir zum Thema der Haptik kommen. In manche Deiner Skulpturen kann man tatsächlich hineingreifen, meistens jedoch verspürt man das Verlangen, die Skulpturen zu berühren, und kann das nur im Geiste vollziehen.
JH: Man darf die Skulpturen nicht berühren. Da geht es auch darum, dass ich den Betrachter im Ungewissen lassen möchte, ob etwas weich oder hart ist – was sich optisch oft nicht entschlüsseln lässt, und hineingreifen darf man nicht. Eine Ausnahme ist die Arbeit Phobic, die darauf ausgerichtet ist, da sie auch für Blinde funktioniert. Phobic war eine Auftragsarbeit von Stift Admont. Auch andere Künstler, wie Baumann, Kienzer, Hahnenkamp, Reiterer und Trummer und viele weitere, haben Arbeiten für diese spezielle Sammlung realisiert, die mittlerweile auf ihrem Gebiet die größte ist. Bei Phobic habe ich die Form sehr reduziert, damit sie mehr über das Tasten zu erfahren ist. Ich habe auch einen Lack gefunden, der sich anfühlt wie Gummi. Bei den anderen Objekten, die man nicht berühren darf, schaut die Oberfläche oft wie Gummi aus, aber auch hier ist das nur eine Beschichtung, von der Du das Gefühl von Gummi hast, wenn Du sie anfasst. Der Witz bei Phobic ist auch – wenn du auf sie zugehst, beginnt sie ab einem gewissen Abstand an zu zittern. Sie schaut ganz einfach aus, beinhaltet aber eine ausgefeilte Technik: Innerhalb der Hülle befindet sich in einem Abstand noch einmal diese elliptische Form, die mit Schaumgummi und Plüsch tapeziert ist. Wenn Du hineingreifst, aber nicht hineinsiehst, weil es dunkel und schwarz ist, greifst Du in die Haare, und dann hat es auch diesen schreckhaften Moment.
SSCH: Dieser Wunsch nach haptischer Erfahrung wird bei einigen Skulpturen über das verwendete Material evoziert. Ich erinnere mich an Arbeiten mit Plüsch oder Fell.
JH: Bei der Arbeit Pounding Flow habe ich Filz eingesetzt, um das Schwarz zu verstärken, das saugt jedes Licht auf. Dann siehst du nicht irgendeinen Lack, sondern du schaust ins Dunkle. Ebenso bei der Arbeit I wanna go home. Früher habe ich öfters, das stimmt, Plüsch verwendet, auch bei den Arbeiten Kitzelkorsett und Home on Legs. Die Arbeit Bound Slippers ist auch mit Plüsch überzogen; das ist allerdings in der Zeichnung schon sichtbar, dort sind lauter kleine Härchen eingezeichnet. Kunstleder kommt auch oft zum Einsatz, um das Organische zu verstärken.
SSCH: Das ist ein interessanter Aspekt, dass Du eine haptische Oberfläche einsetzt, um die Farbigkeit und Oberflächenerscheinung zu verstärken. Eine dreidimensionale Oberfläche hat ja bekanntlich mehr räumliche Tiefe und eine solche wirkt auch farbig anders.
JH: Manchmal sind die Arbeiten tatsächlich weich an der Oberfläche, wie bei der Arbeit Shelter oder Pooped, wo die Oberfläche an orthopädische Heilbehelfe denken lässt. Bei Pooped erinnert der Stoff, mit dem der Schaumgummi überzogen ist, an Kinderstrumpfhosen. Hier geht es also um eine optische Haptik, aber auch darum, welche Assoziationen die Materialien oder die scheinbaren Materialien in Verbindung mit der Form hervorrufen.
SSCH: Greifen wir nochmals das Thema des Psychologischen auf. Ich denke, man kann sagen, dass in Deinen Skulpturen nicht nur physische Empfindungen beim Rezipienten geweckt werden, sondern auch psychologische, die manchmal stärker und manchmal weniger stark in den Vordergrund drängen. Das lässt mich an eine der tollsten Künstlerinnen des 20/21. Jh. denken – an Louise Bourgeois. Es geht mir dabei nicht darum, formale oder gestalterische Ähnlichkeiten herbeizuzitieren, sondern vielmehr eine inhaltliche. Louise Bourgeois hat ihre Erlebnisse, ihr diffiziles Verhältnis zum Vater und generell die Beziehung zwischen Mann und Frau, auf sehr persönliche Weise in Skulpturen übersetzt und dabei auch Tabus gebrochen. Ich denke, dass diese Auseinandersetzung mit psychologischen Momenten auch in Deinen Skulpturen eine Rolle spielt. Wie siehst du den Unterschied zwischen Louise Bourgeois und Deinen Werken?
JH: Formal haben die Arbeiten nicht viel Gemeinsames. Ich glaube, bei ihr ist das Persönliche wirklich Thema und es wird von ihr in Bezug auf persönlich Erlebtes präzise ausformuliert. Ihre Themen haben natürlich auch etwas Übergeordnetes, da meist etwas angesprochen wird, was viele Menschen kennen. Bei mir ist das Persönliche auch da, wird aber nicht so thematisiert. Die Gedanken, Erinnerungen, die mir bei der Auseinandersetzung mit meiner Arbeit hochkommen, behalte ich zum Teil für mich. Das spreche ich nicht an, weil es für mich zu privat wird und in eine Richtung geht, die ich nicht will. Ich möchte es dann doch allgemeingültiger fassen. Auch wenn ich in meinen Arbeiten etwas Persönliches klar erkennen kann und davon auch sehr stark berührt bin, so ist es für mich, wenn es in die Form gebracht ist, ab einem gewissen Punkt entpersönlicht. Ich suche ja nicht die Form dadurch, dass ich zu einem bestimmten Thema etwas machen möchte, sondern das Thema ergibt sich. Manchmal habe ich das Gefühl, mit einer Art morphogenetischem Feld in Verbindung zu stehen, das wie ein allem übergeordnetes Gedächtnis funktioniert. Es ist daher nie eindeutig. Das Persönliche wird vielleicht auch durch den Humor nochmals gebrochen. Die Arbeiten von Louise Bourgeois haben zwar auch etwas Humorvolles, sind aber trotzdem sehr ernst. Mir ist es natürlich auch ernst, aber in dem Ausmaß will ich es gar nicht immer sein. Ich brauche die Distanz auch, um das auszuhalten. Ich muss da ein- und aussteigen können, auch beim Zeichnen. Die Gefahr ist ja immer da: Wenn Du wirklich nur noch da drinnen bist, kannst Du wahnsinnig werden.
SSCH: Die Distanz zum eigenen Werk ist sicher etwas Wichtiges, um sich auch wieder darin verlieren zu können. Ich danke Dir für das aufschlussreiche Gespräch.
SSCH: Wir sind auf Deiner Ausstellung mit dem Titel „Subliminal“ und stehen vor der Skulptur Let’s dance. Bei dieser Arbeit berühren sich zwei Ringe, über die jeweils eine Art Vorhang geworfen ist. Ich dachte sofort daran, dass die Skulptur einen Auftritt vollzieht und dabei gleichzeitig das Auftreten selbst und die Bühne zum Thema macht. Ebenso wird die Frage evoziert, was hinter dem Vorhang stecken und was daraus hervorkommen könnte. Die Skulptur aktiviert also ganz stark Imagination, Vorstellungskraft und Assoziationsvermögen und rührt an eine psychologische Komponente in unserer Wahrnehmung. Auch in Deinen früheren Arbeiten war diese ein wichtiger Bestandteil. Inwieweit kannst Du solche Assoziationen beziehungsweise ihre Auslösung beim Rezipienten steuern?
JH: Die Assoziationen der Betrachter sind sehr unterschiedlich. Die Skulpturen werden aus Zeichnungen entwickelt, wobei Gestalten oder Formen entstehen, die sich aus verschiedenen vertrauten Bestandteilen zusammensetzen, aber etwas Neues formieren, was man nicht eindeutig beschreiben kann. Jeder deutet die Arbeit auch durch seine eigene Geschichte. Es ist keine eindeutige Interpretation möglich, und das ist auch nicht beabsichtigt. Natürlich erinnert die Arbeit auch an einen Vorhang, aber für mich ist eine andere Assoziation näherliegend. Let’s dance ist eine Weiterentwicklung aus vorangegangenen Zeichnungen und Skulpturen, in denen solche Pfützenformationen vorkommen, zum Beispiel bei der Arbeit I wanna go home: Da geht es auch um die Hülle, die zurückbleibt und am Boden festklebt in einer Art Pfütze; das Wesentliche scheint da schon weg zu sein. Bei Catch me if you can sieht die Pfütze wie eine Haut aus, in der etwas Lebendiges ist. Eine Klammer steht für den Versuch, dieses etwas zu fassen, es unter Kontrolle zu bringen, aber das ist unmöglich. Es geht hier um etwas, das oft auf einer psychischen, für uns unsichtbaren Ebene passiert.
SSCH: Die vermeintliche Pfütze als ein Stück Haut, die ihren originalen Zustand verlässt und vorübergehend eine andere Form annimmt?
JH: Für mich sieht es bei Let’s dance so aus, als würde diese Haut durch eine Kraft hochgehoben und in Form gebracht werden. Und durch die Ringe wird sie in Form gehalten. Was wäre, wenn die Ringe nicht wären – würde dann alles in sich zusammenfallen? Was wäre, wenn die Klammer, die wiederum die zwei Ringe zusammenhält, nicht wäre – halten die nur einander, oder erhalten sich diese Wesen allein dadurch, dass sie aneinandergebunden sind? Relativ brutal verschraubt?
SSCH: Mit der Arbeit ist also auch das Thema Balance verbunden. Wenn ein Teil aus dem Gesamtgefüge fehlen würde, sähe die Arbeit nicht nur anders aus, sondern würde in sich wahrscheinlich nicht stimmen.
JH: Ja, jedes Detail ist wichtig, da halte ich mich sehr stark an die Zeichnung, die der Arbeit zugrunde liegt. Wenn ich das tue, dann funktionieren meist die Skulpturen auch. Die Assoziation mit der Balance, mit dem Gleichgewicht ist interessant, weil dies ein Thema ist, das in den Arbeiten wiederkehrt. Zum Beispiel in Aequilibration, die mit ihren aufeinandergestapelten biomorphen Rädern aussieht wie eine biologische Struktur. Aequilibration hat in sich etwas sehr Wackeliges, Thema ist das Ins-Gleichgewicht-Kommen auf einer psychischen Ebene. Das Gleichgewicht scheint nur ein Übergangsmoment zum Ungleichgewicht zu sein. Das Gleichgewicht ist ebenso Thema bei der Skulptur Ohne Titel hier in der Ausstellung. Die Skulptur ist, obwohl sie jetzt sehr massiv dasteht, sehr leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, sie findet aber auch sehr schnell wieder ihren Halt. Auch bei Let’s dance würden die Einzelteile vermutlich ohne den Halt der Klammer kippen. Anders ist es bei den Arbeiten I wanna go home, die demnächst zu kippen scheint, oder Home on Legs, die auf sehr wackeligen Beinen steht.
SSCH: Ist diese Balance, die Hinterfragung nach einem Equilibrium, also etwas, was Du für die inhaltliche und formale Komposition Deiner Werke suchst? Und was ist es, was Dich an diesem Thema fasziniert?
JH: Mich interessiert das Thema nicht nur bei den einzelnen Arbeiten, sondern auch in Bezug auf ihre Anordnung und Installation – also wie die Arbeiten zueinander angeordnet sind, sich ergänzen oder ausgleichen. In der Ausstellung „Aequilibration“ wird das Thema der Balance auf beiden Ebenen angesprochen, inhaltlich und in der Anordnung. Zu der titelgebenden Arbeit Aequilibration habe ich die hängende Arbeit Pounding Flow entwickelt. Aequilibration war zuerst entstanden, als Auftragsarbeit für die Ausstellung „Biomorph“ im Kunsthaus Graz. Später habe ich eine eigene Ausstellung um diese Arbeit entwickelt. „pounding flow“ heißt „fließend auf etwas einhämmern“. Die Arbeit sieht aus wie ein Kriegsgerät aus einem Science-Fiction-Film und vermittelt für mich etwas Aggressives. Sie ist genau der Gegensatz zu Aequilibration, die dieses Gleichgewicht-Suchende, Fragile beschreibt, was ja auch für einen psychischen Zustand steht. Der Begriff Aequilibration, mit „Ae“ geschrieben, kommt aus der Psychologie, mit diesem Phänomen hat sich Jean Piaget befasst. Diese Sehnsucht, im Gleichgewicht zu sein, ist eine Illusion, da es etwas ist, was sich permanent verändert. Das Im-Gleichgewicht-Sein ist immer nur ein kurzer Zustand zwischendurch. Pounding Flow verkörpert eine Kraft, die immer dagegen arbeitet und die einen auch aus der Bahn werfen kann. Bei den meisten Ausstellungen ist es so, dass ich Arbeiten zusammenstelle, die miteinander korrespondieren und so eine Geschichte erzählen. Hier in der Ausstellung „Subliminal“ stehen sich eine eher fragile und bewegliche Skulptur und eine massive, statisch-strenge Skulptur gegenüber.
SSCH: Es geht also um ein In-Balance-Bringen der Arbeiten zueinander, um ihre Inszenierung. Die Bühnenhaftigkeit von Let’s dance ist für mich immer noch eine Beobachtung, die mich nicht loslässt. Auch hat die Skulptur etwas extrem Körperliches, sie zieht den Betrachter auf physische Art in Bann. Das hat sicherlich mit ihrer Größe zu tun, aber auch mit dem Bewegungsmoment, das von der Platzierung der Ringe und der darübergelegten Vorhang- oder Hautstruktur bestimmt wird. Die Tatsache, dass zwei korrespondierende Formen miteinander im Dialog sind, verstärkt den Eindruck von Bewegung.
JH: Für mich ist es interessant, dass du die Bühne ansprichst, das hat bisher niemand so gesehen. Aber es stimmt, die Arbeiten werden auch immer inszeniert. Und Bewegung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.
SSCH: Auch Ohne Titel, deiner zweiten Skulptur hier auf der Ausstellung, scheint eine Bewegung innezuwohnen – diesmal würde ich von einer „Wiegebewegung“ sprechen. Kannst Du etwas dazu erzählen, wie Du Bewegung konzipierst beziehungsweise was die Bewegungsassoziation der Skulptur für Dich bedeutet?
JH: Viele meiner Arbeiten lassen Bewegung assoziieren, oder einen Prozess oder Produktionsvorgang. Das ist mir auch schon bei früheren Arbeiten aufgefallen. Sie wirken wie ein Einzelbild aus einem Film oder wie festgefrorene Phasen eines Bewegungsablaufs, wo man sofort beginnt, die Bewegung oder den Prozess weiterzudenken beziehungsweise wo man fast gezwungen ist, sich zu überlegen, was hier gerade passiert ist oder passieren wird. Durch die Fragestellungen, die hierbei auftauchen, ist man geistig sofort in der Arbeit drinnen, wie Du zu Anfang bereits erwähnt hast. Deshalb habe ich auch dieses kleine, witzige Video Suck gemacht, das ebenso hier in der Ausstellung zu sehen ist.
SSCH: Du bringst in diesem Video eine Deiner Skulpturen dank Computeranimation in Bewegung. Das hat durchaus etwas von Pygmalion, der es mit Hilfe der Götter schafft, seine Skulptur lebendig werden zu lassen. Ist das eine Möglichkeit für Dich, den Skulpturen Leben einzuhauchen?
JH: Das ist ein älteres Video und ich habe nur dieses eine gemacht. Die Arbeit Suck versucht hier durch die Bewegung immer wieder, sich festzuhalten. Ich fand das Video in Verbindung mit dieser Ausstellung passend, weil darin auch dieses Komische vorkommt, das in allen Arbeiten enthalten ist. Weiters steht das Trashige der Art, wie es gemacht ist, in großem Gegensatz zu den Skulpturen, die extrem ausgefeilt sind.
SSCH: Auf alle Fälle zeugt das Video davon, dass Du Humor zulässt.
JH: Ja, auf jeden Fall! Humor ist ein ganz wichtiger Aspekt bei meinen Arbeiten. Ich finde den Humor ganz wichtig, um eine Distanz zu bekommen zu dieser Ernsthaftigkeit, die ins Existenzielle geht und die die Arbeiten teilweise auf einer emotionalen Ebene für mich haben.
SSCH: Auch deine Arbeit Ohne Titel besticht sofort durch den Eindruck, körperlich zu wirken.
JH: Das hat auch mit der Größe zu tun. Bei den Skulpturen ist auch diese wesentlich; sie ist ganz bewusst so gewählt. An der Größe arbeite ich relativ lange, bis diese wirklich stimmt.
SSCH: Mit der Frage der Größe hängt vieles in der Wirkung der Skulptur zusammen. Kannst Du das noch näher ausführen?
JH: Die Größe hat immer einen Bezug zum menschlichen Körper. Am Anfang steht bei mir immer die Zeichnung, dann mache ich ein kleines Modell, weiters ein Kartonmodell, um die richtige Größe zu finden. Hier bei der Skulptur Ohne Titel ist die obere Öffnung auf Augenhöhe gebracht, bei Aequilibration ist es der Armumfang. Die Arbeiten Shelter und Home on Legs orientieren sich an meiner eigenen Körpergröße – in beide würde ich hineinpassen. Das ist vielleicht ein formaler Aspekt, der aber in der Wahrnehmung sehr wichtig ist, denn dadurch gewinnen die Skulpturen etwas „Menschliches“. Die Zeichnungen sind dagegen perspektivisch alle nicht richtig, und sehr oft sieht man sie von oben – warum das so ist, weiß ich nicht. Das dürfte irgendetwas mit bildhauerischer Wahrnehmung, dreidimensionalem Denken, dieser Art des Zeichnens zu tun haben. Und mir ist eben wichtig, wie hier bei der Arbeit Let’s dance, dass ich auch in der Skulptur diese Draufsicht habe. Sobald du die Skulptur eine Spur höher machst, größer, ist die Draufsicht abgeschnitten. Du kannst nicht mehr einsteigen, sozusagen.
SSCH: Der Prozess von der Idee zur Skulptur verläuft demnach über drei Schritte: Zeichnung, Modell und Ausformung der Skulptur?
JH: Zeichnung, kleines Modell, neuerdings auch immer ein Kartonmodell. Früher habe ich von der Originalzeichnung mittels eines ganz altmodischen Systems der Rasterung eine 1:1-Zeichnung angefertigt, um diese in eine Dimension zu bringen, wo ich sie mir als Skulptur vorstellen kann. Von der Arbeit Ohne Titel gab’s zwei große Karton-Modelle, einmal eine Spur zu klein, das andere Mal eine Spur zu hoch. Die exakte Größe ist auch bei so einer massiven Skulptur wesentlich.
SSCH: Die Zeichnungen erwecken den Eindruck, als ob sie bereits sehr definierten Ideen entspringen. Gibt es noch so etwas wie Skizzen, in denen eine Form erarbeitet wird?
JH: Bei den Zeichnungen ist es, weil ich schon so viele gemacht habe, mittlerweile so: Wenn ich beginne zu zeichnen, tauchen am Anfang aus meiner Sicht uninteressante Sachen auf. Dann gibt es aber den Punkt, wo etwas – was auch immer es ist – greift, ob das die Konzentration ist oder das In-dem-Moment-Sein. Da tauchen dann neue Elemente auf, die ich spannend finde. Die Zeichnungen, bei denen etwas auftaucht, was ich noch nicht kenne, interessieren mich. Ich lege dann ein Blatt auf das andere, nehme diese Teile auf und führe sie wieder weiter. Manchmal ist die Zeichnung auf Anhieb da, manchmal ist es ein Prozess, aber es hat nicht die Leichtigkeit, die es zu haben scheint. Viele Skizzen werfe ich weg.
SSCH: Die Arbeit Ohne Titel besteht aus zwei Teilen – der großen Skulptur ist noch eine kleinere, mehrgliedrige Arbeit zugeordnet.
JH: Auch auf der Zeichnung bereits liegen diese Teile daneben. Für mich war es dann eindeutig so, dass es so aussieht, als wären die Teile von dieser Form ausgestanzt worden. Also wie auch immer man das sieht, ob das jetzt Gesichter sind, die verschiedenen Identitäten – wenn ich das so beschreibe, wird das für mich fast zu banal. [lacht]
SSCH: Für mich ist es mehr ein körperliches Empfinden von „Kopf“, ich meine nicht ein ausgeformtes, figuratives Gesicht. Wenn ich diese zwei Skulpturen betrachte, dann spüre ich unmittelbar eine Beziehung zu meinem Kopf und ich konzentriere mich für eine Sekunde auf meinen Kopf, ohne dort Gesichter zu sehen. Und wenn man über die Körperzone der Skulptur spricht, breite ich sofort meine Hände aus, um zum Ausdruck zu bringen, wie ich das Volumen der Skulptur empfinde. Es gibt also einen kurzen Moment einer nachempfundenen physischen Wahrnehmung. Irgendwie ist es wie mit der Malerei von Maria Lassnig, die das betont, was sie körperlich spürt.
JH: Den Bezug zu Maria Lassnig finde ich sehr schön, weil ich ein großer Fan ihrer Arbeit bin und mich natürlich auch mit ihr beschäftigt habe. Bei Maria Lassnig hat das Vermitteln von Emotionen neben der Form auch viel mit Farbe zu tun – bei ihr steht jede Farbe für ein bestimmtes Gefühl. Ich habe selbst auch schon darüber nachgedacht, ob es hier eine Parallele gibt, aber auf einer formalen Ebene. Sie ist eine Malerin und ich bin eine Bildhauerin. Ich verwende fast keine Farben, viele meiner Arbeiten sind in letzter Zeit schwarz oder hautfarben. Das Vermitteln der Emotionen passiert bei mir hauptsächlich über die Form, die Größe, die Oberflächen und die Anordnung der Arbeiten zueinander. Die Farbe spielt hier auch eine Rolle, aber mehr über das vermeintliche Material und was dieses assoziieren lässt.
SSCH: Du hast in die Ausstellung auch ein Foto integriert, das einen eingebundenen Baum zeigt. Auch hier wird sofort eine Körperverbindung klar – man denkt an eingebundene Füße und kann sogar ein Stand- und Spielbein erkennen.
JH: Es gibt in letzter Zeit eine neue Fotoserie mit gefundenen Skulpturen oder Installationen, die im weitesten Sinne auch mit dem bildhauerischen Blick zu tun haben. Bei diesem Foto, von dem wir gerade sprechen, konnte ich assoziativ zu der Arbeit Let’s dance eine Verbindung herstellen. Dadurch, dass Let’s dance neben dem Pfützenartigen auch so etwas Schweres, auch Gummiartiges hat, sehen sie zwar aus, als wollten sie tanzen, zugleich haften sie aber am Boden fest. Die Baumstämme schauen aus wie Standbein-Spielbein, und die herumgewickelten Fetzen habe ich mit Ballettstrümpfen beziehungsweise Beinwärmern assoziiert. Die „Beine“ sehen so aus, als würden sie jederzeit beginnen sich zu bewegen, was sie aber nicht können, da sie festgewachsen sind. – Dazu möchte ich Dir noch die Wandzeichnung im Vorraum zeigen, weil sich da noch einmal eine Brücke schlagen lässt … Bei einigen Skulpturen kam diese Kistenform vor, zum Beispiel bei TV-Baby. Diese Kistenform ist aber immer ausgelagert, und es ist so, als ob diese ausgelagerte neben der biomorphen Form für eine Struktur steht. Bei dieser Zeichnung hier sind nur noch die Kisten zu sehen und eine Verbindung, die ganz lose ist. Normalerweise ist da eine biomorphe Form und eine sehr rigide Verklammerung, um diese in Form zu halten, oder vielleicht, um dieser Struktur zu geben.
SSCH: Gerne würde ich nochmals auf den Stellenwert der Fotos in Deinem Werk zu sprechen kommen. In Deinen Ausstellungen sind häufig Fotos integriert, die eine thematische Verbindung mit den Skulpturen zeigen. Ich habe mich gefragt, ob Du bei jeder neuen Werkgruppe das Thema quasi in den Alltag mitnimmst, und wenn Du eine Entsprechung dazu findest, diese als eine Art Skizze verwendest und später ins Werk integrierst. Die Fotos docken demnach an der realen Welt an, während die Skulpturen eine sublimierte Form davon darstellen. Kannst Du diese Verbindung von realer Welt und jener, in denen Deine Skulpturen ihre Erscheinungs- oder Existenzform finden, näher ausführen?
JH: Die Skulpturen bewegen sich für mich nicht nur im Bereich der Kunst, sie sind für mich sehr real. [lacht] Das ist etwas, womit ich lebe und was Teil meines Lebens ist. Mit der Zeit habe ich eine Formensprache entwickelt, oder sie ist einfach da, wie auch immer man das sehen will – aber diese Realität ist genauso existent. Auch die Parallelwelt, die sie beschreiben, ist etwas, was existiert, auch wenn sie nicht sichtbar ist. Die Skulpturen sind wie eine Art Sichtbarmachung. Natürlich nie eindeutig für etwas Bestimmtes – aber sie beschreiben für mich etwas, womit ich mich beschäftige. Es ist nicht so, dass es ein Thema gibt, zu dem ich mir etwas überlege, sondern alles beginnt mit der Zeichnung. Wenn ich die Arbeit entwickle, weiß ich am Anfang noch nicht, was das eigentlich ist. Es gibt eine Zeichnung, die mich aus irgendeinem Grund interessiert oder die ich spannend finde, und ich merke, das muss etwas sein, was mich momentan sehr beschäftigt – und vielleicht nicht nur mich: manchmal denke ich, dass das über das Persönliche hinausgeht. Der Pool, aus dem diese Formen kommen – die Formen, aus denen sich die Skulpturen zusammensetzen –, ist aus meiner Sicht im Unterbewusstsein allgemein verankert. Wenn ich eine Arbeit entwickle, denke ich darüber nach, was das eigentlich ist – und irgendwann einmal, bei der Titelgebung, die wichtig ist, suche ich nach dem, oder versuche es zu verstehen. Dann gibt’s den Punkt, wo der Titel für mich ganz klar ist, und dann lese ich manchmal auch noch über das Thema nach – wie zum Beispiel bei Aequilibration. Dann kommt der Moment, wo ich denke: Ja, das beschreibt wirklich genau das, was die Arbeit für mich darstellt. Dieser Moment, wo sich das auflöst, ist für mich ein Schlüsselerlebnis und eine Notwendigkeit, denn alles unaufgelöst mit mir herumzutragen, ist nicht gerade angenehm. Es ist, als ob Du etwas in Form bringst, es klar vor die siehst, Dir dazu Gedanken machst und es dann wegstellen kannst und eine Distanz dazu einnimmst. Dabei spielt dann auch der Humor eine wesentliche Rolle. Der Prozess ist genauso, wenn ich weitere Arbeiten dazuentwickele: Ich setze mich nicht hin und überlege mir, was ich jetzt machen könnte, sondern schaue in mein Zeichnungsarchiv, das sehr umfangreich ist. Die Fotos entstehen davon unabhängig. Vielleicht haben sie durch die selektive Wahrnehmung mit dem Thema, mit dem ich mich momentan beschäftige, zu tun. Manchmal gibt es Fotos, von denen ich denke, dass sie mit dem Inhalt der Ausstellung formal oder auf einer emotionalen Ebene zu tun haben und das Thema auf einer anderen Ebene weiterführen.
SSCH: Etwas, worauf ich gerne zu sprechen kommen möchte, ist die Präzision, mit der Du Deine Werke konzipierst und umsetzt. Du hast eine Idee, ein Thema, das Dich beschäftigt, überlegst die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung und entscheidest Dich mittels präziser Überlegung für die eine tatsächlich richtige Umsetzung?
JH: Am Anfang steht nicht die Idee, wie wir bereits besprochen haben, sondern die Zeichnung. Durch die Zeichnung habe ich einen Zugang zu unterbewussten Ebenen, die ich mir nicht vorstellen kann und zu denen ich auch im Traum keinen Zugang habe – ich habe noch nie in einem Traum eine dieser Formen von mir gesehen. Das finde ich interessant, es muss also eine ganz bestimmte Ebene geben, wo all das, was man aufnimmt, in Formen oder Bildern abgespeichert wird. Ich stelle mir das vor wie ein Alphabet auf einer bildlichen Ebene. Hier muss ich Jan Starobinski erwähnen, der meinte, der psychische Automatismus ist eine Möglichkeit des Zugangs zu dem Gedanken im ursprünglichen Zustand. Also ist das, was mich beschäftigt, hier bereits angelegt, und in einem bestimmten Moment der Konzentration kann sich das über das Zeichnen, die Linie zu einem Bild formen. Es ist eigentlich wie eine eigene Sprache, die ich selbst erst verstehen lernen musste. Bereits in der Zeichnung kann ich die Arbeit, wie sie aussehen wird, gut erkennen, und das Material spüren. Wenn es dann um die Umsetzung geht, so ist das ein langwieriger Prozess: Erst kommen die verschiedenen Modelle, über die wir gesprochen haben. Dann arbeite ich die Form in Originalgröße heraus, fertige Negative an und laminiere den Rohkörper, und zuletzt die passende Oberfläche. Die Oberfläche sagt sehr viel aus, ob es Lack, Kunstleder oder doch eine weiche Oberfläche ist – oder eben nur eine optisch weiche, um in die Irre zu führen. In letzter Zeit hat sich die Oberfläche auch oft auf einen schwarzen Lack reduziert, der wie Gummi aussieht; wie der aufgetragen werden muss, um so auszusehen, ist wieder eine eigene Wissenschaft. Weiters muss jede Verbindung stimmig sein, ob die Schraube versenkt ist oder nicht, ob die Verbindung sichtbar ist oder nicht, und dann die Art, wie etwas hängt – jedes Detail ist wichtig.
SSCH: Bereits seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass sich in Deinem Werk eine stärkere Verdichtung in der visuellen Sprache abzeichnet. Die Skulpturen sind minimaler in ihrer formalen Umsetzung und weniger erzählerisch.
JH: Das sehe ich auch so. Was ich beobachte, ist das, was in der Zeichnung passiert. Du kennst ja auch die früheren Zeichnungen – die waren sehr erzählerisch und verspielt. Je länger ich das mache, desto einfacher werden die Formen und reduzierter die Zeichnungen. Früher habe ich bei der Umsetzung der Zeichnung in die Skulptur häufig einiges weggelassen, was auf der Zeichnung zu sehen war. Ich habe mir damals gedacht, es könnte interessant sein, ganze Installationen, Environments daraus zu entwickeln, was ich dann aber nicht umgesetzt habe. Mittlerweile sind die Zeichnungen – ohne Absicht – sehr auf eine in sich abgeschlossene Form reduziert.
SSCH: Bei den Arbeiten Kitzelkorsett und Home on Legs beispielsweise ist die angesprochene Reduzierung sehr gut ausformuliert. Ebenso ist die körperliche Komponente wiederum sehr stark ausgeprägt. Einmal scheint der Körper wie korsettmäßig gefangen, und bei Home on Legs wird der körperliche Moment in Form von Architektur beziehungsweise Behausung betont. Das Thema Körper zieht sich wie ein roter Faden durch dein Werk.
JH: Diese Kiste auf den Beinen ist genau der engste Raum, der mich umschreibt, wenn ich in Seitenlage liege. Es geht da um die Vorstellung eines Rückzugsortes. Der ist natürlich klein und eng und hat zusätzlich Löcher. In der Vorstellung kann man da hineingreifen. Die Arbeit hat viel mit Grenzen, Abgrenzung und Rückzug zu tun – aber eben auf sehr wackeligen Beinen. Die Arbeiten sind nicht so angelegt, dass man sie wirklich benützen kann.
SSCH: Du hast vom „Hineingreifen“ gesprochen, womit wir zum Thema der Haptik kommen. In manche Deiner Skulpturen kann man tatsächlich hineingreifen, meistens jedoch verspürt man das Verlangen, die Skulpturen zu berühren, und kann das nur im Geiste vollziehen.
JH: Man darf die Skulpturen nicht berühren. Da geht es auch darum, dass ich den Betrachter im Ungewissen lassen möchte, ob etwas weich oder hart ist – was sich optisch oft nicht entschlüsseln lässt, und hineingreifen darf man nicht. Eine Ausnahme ist die Arbeit Phobic, die darauf ausgerichtet ist, da sie auch für Blinde funktioniert. Phobic war eine Auftragsarbeit von Stift Admont. Auch andere Künstler, wie Baumann, Kienzer, Hahnenkamp, Reiterer und Trummer und viele weitere, haben Arbeiten für diese spezielle Sammlung realisiert, die mittlerweile auf ihrem Gebiet die größte ist. Bei Phobic habe ich die Form sehr reduziert, damit sie mehr über das Tasten zu erfahren ist. Ich habe auch einen Lack gefunden, der sich anfühlt wie Gummi. Bei den anderen Objekten, die man nicht berühren darf, schaut die Oberfläche oft wie Gummi aus, aber auch hier ist das nur eine Beschichtung, von der Du das Gefühl von Gummi hast, wenn Du sie anfasst. Der Witz bei Phobic ist auch – wenn du auf sie zugehst, beginnt sie ab einem gewissen Abstand an zu zittern. Sie schaut ganz einfach aus, beinhaltet aber eine ausgefeilte Technik: Innerhalb der Hülle befindet sich in einem Abstand noch einmal diese elliptische Form, die mit Schaumgummi und Plüsch tapeziert ist. Wenn Du hineingreifst, aber nicht hineinsiehst, weil es dunkel und schwarz ist, greifst Du in die Haare, und dann hat es auch diesen schreckhaften Moment.
SSCH: Dieser Wunsch nach haptischer Erfahrung wird bei einigen Skulpturen über das verwendete Material evoziert. Ich erinnere mich an Arbeiten mit Plüsch oder Fell.
JH: Bei der Arbeit Pounding Flow habe ich Filz eingesetzt, um das Schwarz zu verstärken, das saugt jedes Licht auf. Dann siehst du nicht irgendeinen Lack, sondern du schaust ins Dunkle. Ebenso bei der Arbeit I wanna go home. Früher habe ich öfters, das stimmt, Plüsch verwendet, auch bei den Arbeiten Kitzelkorsett und Home on Legs. Die Arbeit Bound Slippers ist auch mit Plüsch überzogen; das ist allerdings in der Zeichnung schon sichtbar, dort sind lauter kleine Härchen eingezeichnet. Kunstleder kommt auch oft zum Einsatz, um das Organische zu verstärken.
SSCH: Das ist ein interessanter Aspekt, dass Du eine haptische Oberfläche einsetzt, um die Farbigkeit und Oberflächenerscheinung zu verstärken. Eine dreidimensionale Oberfläche hat ja bekanntlich mehr räumliche Tiefe und eine solche wirkt auch farbig anders.
JH: Manchmal sind die Arbeiten tatsächlich weich an der Oberfläche, wie bei der Arbeit Shelter oder Pooped, wo die Oberfläche an orthopädische Heilbehelfe denken lässt. Bei Pooped erinnert der Stoff, mit dem der Schaumgummi überzogen ist, an Kinderstrumpfhosen. Hier geht es also um eine optische Haptik, aber auch darum, welche Assoziationen die Materialien oder die scheinbaren Materialien in Verbindung mit der Form hervorrufen.
SSCH: Greifen wir nochmals das Thema des Psychologischen auf. Ich denke, man kann sagen, dass in Deinen Skulpturen nicht nur physische Empfindungen beim Rezipienten geweckt werden, sondern auch psychologische, die manchmal stärker und manchmal weniger stark in den Vordergrund drängen. Das lässt mich an eine der tollsten Künstlerinnen des 20/21. Jh. denken – an Louise Bourgeois. Es geht mir dabei nicht darum, formale oder gestalterische Ähnlichkeiten herbeizuzitieren, sondern vielmehr eine inhaltliche. Louise Bourgeois hat ihre Erlebnisse, ihr diffiziles Verhältnis zum Vater und generell die Beziehung zwischen Mann und Frau, auf sehr persönliche Weise in Skulpturen übersetzt und dabei auch Tabus gebrochen. Ich denke, dass diese Auseinandersetzung mit psychologischen Momenten auch in Deinen Skulpturen eine Rolle spielt. Wie siehst du den Unterschied zwischen Louise Bourgeois und Deinen Werken?
JH: Formal haben die Arbeiten nicht viel Gemeinsames. Ich glaube, bei ihr ist das Persönliche wirklich Thema und es wird von ihr in Bezug auf persönlich Erlebtes präzise ausformuliert. Ihre Themen haben natürlich auch etwas Übergeordnetes, da meist etwas angesprochen wird, was viele Menschen kennen. Bei mir ist das Persönliche auch da, wird aber nicht so thematisiert. Die Gedanken, Erinnerungen, die mir bei der Auseinandersetzung mit meiner Arbeit hochkommen, behalte ich zum Teil für mich. Das spreche ich nicht an, weil es für mich zu privat wird und in eine Richtung geht, die ich nicht will. Ich möchte es dann doch allgemeingültiger fassen. Auch wenn ich in meinen Arbeiten etwas Persönliches klar erkennen kann und davon auch sehr stark berührt bin, so ist es für mich, wenn es in die Form gebracht ist, ab einem gewissen Punkt entpersönlicht. Ich suche ja nicht die Form dadurch, dass ich zu einem bestimmten Thema etwas machen möchte, sondern das Thema ergibt sich. Manchmal habe ich das Gefühl, mit einer Art morphogenetischem Feld in Verbindung zu stehen, das wie ein allem übergeordnetes Gedächtnis funktioniert. Es ist daher nie eindeutig. Das Persönliche wird vielleicht auch durch den Humor nochmals gebrochen. Die Arbeiten von Louise Bourgeois haben zwar auch etwas Humorvolles, sind aber trotzdem sehr ernst. Mir ist es natürlich auch ernst, aber in dem Ausmaß will ich es gar nicht immer sein. Ich brauche die Distanz auch, um das auszuhalten. Ich muss da ein- und aussteigen können, auch beim Zeichnen. Die Gefahr ist ja immer da: Wenn Du wirklich nur noch da drinnen bist, kannst Du wahnsinnig werden.
SSCH: Die Distanz zum eigenen Werk ist sicher etwas Wichtiges, um sich auch wieder darin verlieren zu können. Ich danke Dir für das aufschlussreiche Gespräch.