- Let’s dance, 2014, Polyester, Aluminium je 120 x 110 x 250 cm, Installationsansicht, 2014
Foto: Jorit Aust - O.T., 2014, Klebezeichnung geplottet, 120 x 120 cm; O.T. (Albener Hafen), Instaltionsansicht, 2014
Foto: Jorit Aust - Ohne Titel, 2013, Polyester, Stahl: 200 x 215 x 70 cm
Foto: Jorit Aust - O.T. (Alberner Hafen), 2013, Fine Art Print, gerahmt, 60 x 33 cm
- O.T. (Alberner Hafen) (links), Ohne Titel (rechts), Installationsansicht, 2014
Foto: Jorit Aust - Let’s dance, 2014, Polyester, Aluminium 120 x 110 x 250 cm
Foto: Jorit Aust
Subliminal
, Installationsansicht, 2014
Subliminal
Thomas Mießgang
Let’s dance! Put on your red shoes und tanz den Blues. Lasset uns schwingen, sway through the crowd to an empty space.
Aber können sie überhaupt tanzen, diese schwarzen geriffelten Entitäten, die aussehen wie in die Vertikale gezerrte Ölpfützen? Siamesischer Cakewalk? English Waltz hinter schwedischen Gardinen? Rock and Roll in morganatischer Ehe zusammengeschweißt? Polyester und Stahl, scheinbar schwer und doch durch eine leichte Armbewegung problemlos zu verrücken? Der massiven Erscheinung des in den festen Aggregatzustand überführten Liquids stehen die offensichtliche Dünnwandigkeit, das angedeutete Volumen und die Sichtbarkeit des Innenlebens gegenüber, das die Produktionstechnik erkennen lassen. Und die Verbindung der beiden „Körper“ mit fest verschraubten Teilen, die an Handschellen erinnern, evoziert ein Beziehungsmuster, dem etwas Gewalttätiges innewohnt: Whiplash girlchild in the dark.
Ein Gestaltungsprinzip, das in den Arbeiten von Julie Hayward immer wiederzukehren scheint. Auch in früheren Werken wie Catch me if you can, Pooped oder Aequilibrium werden Formerfindungen zugeschnürt, festgezurrt oder mit einer Klammer verbunden. Wie überhaupt das duale Prinzip, in dem sich zwei Elemente als Körperspiegelung oder Schattenerscheinung manifestieren, als künstlerisches Agens häufig in Erscheinung tritt.
Haywards biomorphe Skulpturen werden durch die Titelgebung häufig in eine bestimmte gedankliche Richtung navigiert, die sich dann aber als dunkler, unbeleuchteter Nonplace am Ende der Straße herausstellen kann. Nichts ist eindeutig an diesen Arbeiten, die mit der Dialektik von Mimesis und Differenz spielen. Die manchmal wie alptraumhafte Projektionen aus dem Unbewussten wirken und dann wiederum wie ins Überdimensionale vergrößerte Bauklötzchen oder Kreiselfiguren. Phainomena, die mit den Augen zu sehen sind, gleichermaßen wie Noumena, die mit dem Geist erkannt werden können. Spielmaterial für die von den Ketten der Konvention befreite Phantasie.
Die zweite große Arbeit in der Ausstellung „Subliminal“ ist noch ergebnisoffener, was Interpretationen betrifft, die ihr eine Deutung aufzudrängen versuchen, Ohne Titel diesmal. Eine unregelmäßige geometrische Rundform, die sich nach oben hin verjüngt und eine zweite kleinere Leerstelle gebiert. Davor ein Haufen schwarzer Elemente, die aussehen wie achtlos ausgestreute Puzzleteile. Man darf an ein überdimensionales Maul denken, das in begriffslosem Entsetzen seine Zähne ausgespuckt hat. Oder an Gesichter, die abgelegt worden sind und eine Negativ-Form zurückgelassen haben: Schwarze Löcher, Antimaterie, die Stabilität des Instabilen. Die Teile der Skulptur sind derart miteinander verbunden/vernietet, dass der Betrachter ihren modularen Charakter weiterhin erkennen kann. Obwohl sie auf den ersten Blick massiv auftritt und Schwere suggeriert, so drängt sich doch die unabweisbare Vorstellung auf, dass die Form innen hohl ist und so eine Art Trompe L’Esprit in Szene gesetzt wird.
Die großen skulpturalen Gestaltwerdungen in der Ausstellung werden gespiegelt durch einige kleinere Arbeiten, die Motive aufnehmen und im Rahmen ihrer jeweils gewählten künstlerischen Darstellungsform variieren. Die einzige Photographie zeigt zwei Bäume, die mit Stoff umwickelt wurden, um sie vor anlegenden Booten zu schützen. Standbein und Spielbein, verrutschte Ballettstrümpfe, ein imaginärer/imaginierter Körper, der im Begriff ist, seine Position der Stabilität zu verlassen, um sich der tänzerischen Verwirbelung hinzugeben. If you say run, I run with you. Let’s dance. O.T. 2014 gehört, so wie alle Photographien von Julie Hayward, zum Komplex der auf ausgedehnten Spaziergängen „vorgefundenen Installationen und Objekte“, die erst durch den Akt der Dokumentation als solche definiert werden. Die Zeichnung O.T. 2013 hingegen, die als eine Art Präludium der Ausstellung fungiert, nimmt, gefiltert durch die Sensibilität und die gestalterische Idiosynkrasie der Künstlerin, das binäre Prinzip von Let’s dance vorweg und prägt ihm eine andere ontologische Signatur auf: Zwei offene Boxen, die nur durch ihre Umrisslinien definiert werden, sind durch ein textilförmiges Material miteinander verbunden. Die reduktionistische Ästhetik der Zeichnung variiert formale Prinzipien, die Julie Hayward bereits bei früheren Arbeiten (Transformator, TV-Baby) erprobt hat: die Verbindung von biomorphen Gestalten, von gerundeten Formen und soften Linien mit den geradlinigen Konturen eines klar definierten geometrischen Körpers, der für Struktur und rationale Klarheit steht.
Durch die lose Verknüpfung der Boxen stellt sich die Zeichnung trotz einer homologen Prononcierung des dualen Prinzips in einen gewissen Gegensatz zu der unerbittlichen Umklammerung jener sowohl formal wie inhaltlich weniger klar stratifizierten Objekte, die in Let’s dance Tanzschwindel und Drehekstasen evozieren. „Tanz, Trunkenheit, toxische Exzesse, Selbstverstümmelungen usw. sind von außen nach innen angesetzte Handlungsreihen“, schreibt Arnold Gehlen, „und die in ihnen gewollte Übersteigerung und Hypertension der Affektivität und Sensibilität erreicht höchste Grade, weil die aufgelösten Hemmungsenergien in die Dynamik mit eingehen, so zu einer als beglückend empfundenen Befreiung und Entlastung des Menschen von sich führend.“
Einige Skulpturen von Julie Hayward, die wie schockgefrorene Manifestationen solcher kinetischer Verheißungen wirken, werden in der Filmarbeit „Suck“, die die Ausstellung abschließt, in jenen Seinsmodus übersetzt, der ihnen als entelechetisches Prinzip eingeschrieben ist: Zeichentricktechnik bringt die Objekte zum Laufen, die sich wie urweltliche Ungeheuer im Raum bewegen und mit ihren Tentakeln festen Halt zu finden versuchen. Let’s dance, for fear your grace should fall.
Die Ausstellung „Subliminal“ entwirft somit auf knappestmöglichem Raum einen panoramatischen Blick auf die Kunst von Julie Hayward. Sie deutet den Weg an, der von der Zeichnung zur Dreidimensionalität führt, sie berauscht sich an den Paradoxien von Stasis und Hypertension, die im stillgestellten Artefakt subliminal vibrieren. Sie stellt Fragen nach Ähnlichkeit und Differenz, nach ontologischer Stabilität und transzendentaler Obdachlosigkeit.
Subliminal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Reize aktiviert werden, die die Schwelle des Bewusstseins nicht überschreiten. Dass unter jener Oberflächenschicht, die für den Blick und den tastenden Zugriff erreichbar ist, andere, kryptischere Energien wirken. Die Künstlerin hat mehrfach beschrieben, welcher Arbeitsprozess ihren Formerfindungen zugrunde liegt: Die Werke würden aus der Zeichnung heraus entwickelt, wobei sie versuche, die kontrollierenden Ich-Instanzen weitgehend auszuschalten und sich von der Hand führen zu lassen: „Dies passiert immer auf einem A4-Format mit schwarzem Feinleiner, der nicht kratzt und dadurch ablenkt und eine gleich bleibende Linienstärke hat. Das Format bietet einen Halt in diesem schwebendem Zustand.“
Ein archäologischer Prozess, der Formen freilegt, die in ein existenzielles Paradigma eingeschlossen seien, das zuvor weder direkt noch indirekt anzusteuern war. Obwohl Hayward betont, dass diese Konfigurationen auch als Traumgesichte nicht zu entziffern seien, scheint doch eine Art „infinit-dimensionale Traumlogik“ im Sinne Hermann Brochs am Werk zu sein, die diese skulpturalen Ausgrabungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Mimesis und Formverlust, zwischen geometrischer Organisation und Distorsion hervorzutreiben imstande ist. Es ist eine Ästhetik der Chiffren und der mehrdeutigen Symbole, die oft zuerst in den Zeichnungen auftauchen und dann auch die dreidimensionalen Arbeiten infizieren. Pfützen, Flüssigkeiten, zäher Schleim – liquide Manifestationen aus der Welt der Erscheinungen werden in den Polyesterlegierungen des künstlerischen Werks zu statischen Festlegungen, die mit der Dialektik von anorganischer Präsenz und Elan vital ein Spiel ohne Grenzen inaugurieren. In der Arbeit „I wanna go home“ scheint eine schräg aufgestellte Figur, deren Konturen an einen überdimensionalen Granatwerfer erinnern, in einer Pfütze festzukleben: eine „Abschussrampe für die Seele“, deren transzendentale Füllstoffe bereits in die Umlaufbahn geschossen wurden, während die Hülle nach den Gesetzen der Schwerkraft zurückbleiben musste. Es geht um die Präsenz der Leere und die Absenz der ontologischen Verdichtung; um eine künstlerische Behauptung, die das Schändlich-Unwelthafte (Toni Negri) mit dem energetischen Karma einer über sich selbst hinausweisenden Existenz in ein ständig permutierendes Spannungsverhältnis setzt. Bei Ohne Titel wiederum ist die Form der Form die Form, die neue Formlosigkeiten hervortreibt: „I’m fixing a hole where the rain gets in. And stops my mind from wandering.“ (Beatles)
Catch me if you can, wo ebenfalls eine Pfütze zu sehen ist, spannt sich als flexible Epidermis voller Oberflächenspannung auf, in der etwas Lebendiges – oder: etwas Untotes? – wirkt, das einer Kontrolle durch Ich-Instanzen oder Überich-Gralswächter zu echappieren scheint. Vielleicht eine künstlerische Sichtbarmachung des Realen von Lacan? Das nicht Imaginäre und nicht Symbolisierbare, das außerhalb der normalen Realität Liegende und Verdrängte, das diese bedroht? In jedem Fall ein Stratum basale, eine Basalzellschicht, in der künstlerische Zellteilungen aller Art stattfinden können: the Horror, the Horror.
Es gibt einen Genstrang, der als fertiles künstlerisches Programm fast alle Arbeiten von Julie Hayward durchzieht: jene subliminalen Strukturen, die als Hintergrundstrahlung existenzieller Aktualisierungen im Verborgenen wirken und als unterschwellige Gefühle Beziehungen steuern und die Verankerung des Seins in der Welt determinieren. Es geht um die unaufgelöste und unauflösbare Konfliktbeziehung zwischen transzendentaler Obdachlosigkeit und jener „ontological security“, von der Anthony Giddens spricht: die Korrespondenz routinisierten Handelns mit dem Sicherheitsbedürfnis der Akteure. In dieser Spannungszone des Seins, wo die Träume noch nicht zu erzählbaren Gebilden geworden sind und die Widersprüche der menschlichen Seele, die, wie Hermann Broch schreibt, „Gut sowie Böse, Schwarz wie Weiß, Orgie wie Askese“ birgt, sich offenbaren, wagt Julie Hayward wesentliche Schritte ins Ungegangene und versucht, lang Geahntes in den Bereich des Sichtbaren herüberzuleiten.
Durch das Kunstwerk sei dem Menschen eine Annäherungsmöglichkeit an die ihm zutiefst innewohnende Logik gegeben, hat Broch an anderer Stelle geschrieben: Formen und Farben, Bilder und Strukturen würden aufeinander wirken, sich gegenseitig erhellen und ergänzen. Dies sei die einzige Art, um aufzeigen zu können, „wie die höchsten geistigen Ziele des Menschen unmittelbar mit seinem kaum erahnbaren Wesensgrund verknüpft sind und sich aus diesen rein triebhaften Wurzeln in direktem Wachstum entwickeln können“.
Mag es diese Traumlogik sein, die am Wesensgrund von Julie Haywards künstlerischer Energie wirkt, mag es sich um eine individuell appropriierte Variation des automatischen Schreibens der Surrealisten handeln, eine Art Dessin automatique oder um die ästhetische Praxis, den prozessualen Akten des Unbewussten eine visuelle Gestalt zu verleihen: Wesentlich ist, das am existenziellen Nicht-Ort zwischen Erinnerung und Vergessen eine sehr subjektive formale Eigenart hervortritt, die doch Verbindlichkeit und Anschlussfähigkeit beanspruchen darf und zwischen Wesen und Erscheinung vermittelt. „Wir können die Welt nur so wahrnehmen, wie sie uns erscheint“, schreibt Christoph Türcke in „Philosophie des Traums“. „Aber Erscheinungen sind immer bloß eine Außenseite: Erscheinungen von etwas, was selbst nicht erscheint. Dies in den Erscheinungen Verborgene, das sich nur ‚spekulativ‘, will sagen denkend, nicht durch die Sinne, erfassen lässt, heißt in der Philosophie dann ‚Wesen‘, ‚Substanz‘ oder ‚An sich‘.“ In Julie Haywards Kunst glaubt man zumindest den Anhauch dieses „An sich“ zu spüren, einen Schmetterlingsflügelschlag der „Substanz“ zu erleben. Put on your red shoes. Let’s dance!
Thomas Mießgang
Let’s dance! Put on your red shoes und tanz den Blues. Lasset uns schwingen, sway through the crowd to an empty space.
Aber können sie überhaupt tanzen, diese schwarzen geriffelten Entitäten, die aussehen wie in die Vertikale gezerrte Ölpfützen? Siamesischer Cakewalk? English Waltz hinter schwedischen Gardinen? Rock and Roll in morganatischer Ehe zusammengeschweißt? Polyester und Stahl, scheinbar schwer und doch durch eine leichte Armbewegung problemlos zu verrücken? Der massiven Erscheinung des in den festen Aggregatzustand überführten Liquids stehen die offensichtliche Dünnwandigkeit, das angedeutete Volumen und die Sichtbarkeit des Innenlebens gegenüber, das die Produktionstechnik erkennen lassen. Und die Verbindung der beiden „Körper“ mit fest verschraubten Teilen, die an Handschellen erinnern, evoziert ein Beziehungsmuster, dem etwas Gewalttätiges innewohnt: Whiplash girlchild in the dark.
Ein Gestaltungsprinzip, das in den Arbeiten von Julie Hayward immer wiederzukehren scheint. Auch in früheren Werken wie Catch me if you can, Pooped oder Aequilibrium werden Formerfindungen zugeschnürt, festgezurrt oder mit einer Klammer verbunden. Wie überhaupt das duale Prinzip, in dem sich zwei Elemente als Körperspiegelung oder Schattenerscheinung manifestieren, als künstlerisches Agens häufig in Erscheinung tritt.
Haywards biomorphe Skulpturen werden durch die Titelgebung häufig in eine bestimmte gedankliche Richtung navigiert, die sich dann aber als dunkler, unbeleuchteter Nonplace am Ende der Straße herausstellen kann. Nichts ist eindeutig an diesen Arbeiten, die mit der Dialektik von Mimesis und Differenz spielen. Die manchmal wie alptraumhafte Projektionen aus dem Unbewussten wirken und dann wiederum wie ins Überdimensionale vergrößerte Bauklötzchen oder Kreiselfiguren. Phainomena, die mit den Augen zu sehen sind, gleichermaßen wie Noumena, die mit dem Geist erkannt werden können. Spielmaterial für die von den Ketten der Konvention befreite Phantasie.
Die zweite große Arbeit in der Ausstellung „Subliminal“ ist noch ergebnisoffener, was Interpretationen betrifft, die ihr eine Deutung aufzudrängen versuchen, Ohne Titel diesmal. Eine unregelmäßige geometrische Rundform, die sich nach oben hin verjüngt und eine zweite kleinere Leerstelle gebiert. Davor ein Haufen schwarzer Elemente, die aussehen wie achtlos ausgestreute Puzzleteile. Man darf an ein überdimensionales Maul denken, das in begriffslosem Entsetzen seine Zähne ausgespuckt hat. Oder an Gesichter, die abgelegt worden sind und eine Negativ-Form zurückgelassen haben: Schwarze Löcher, Antimaterie, die Stabilität des Instabilen. Die Teile der Skulptur sind derart miteinander verbunden/vernietet, dass der Betrachter ihren modularen Charakter weiterhin erkennen kann. Obwohl sie auf den ersten Blick massiv auftritt und Schwere suggeriert, so drängt sich doch die unabweisbare Vorstellung auf, dass die Form innen hohl ist und so eine Art Trompe L’Esprit in Szene gesetzt wird.
Die großen skulpturalen Gestaltwerdungen in der Ausstellung werden gespiegelt durch einige kleinere Arbeiten, die Motive aufnehmen und im Rahmen ihrer jeweils gewählten künstlerischen Darstellungsform variieren. Die einzige Photographie zeigt zwei Bäume, die mit Stoff umwickelt wurden, um sie vor anlegenden Booten zu schützen. Standbein und Spielbein, verrutschte Ballettstrümpfe, ein imaginärer/imaginierter Körper, der im Begriff ist, seine Position der Stabilität zu verlassen, um sich der tänzerischen Verwirbelung hinzugeben. If you say run, I run with you. Let’s dance. O.T. 2014 gehört, so wie alle Photographien von Julie Hayward, zum Komplex der auf ausgedehnten Spaziergängen „vorgefundenen Installationen und Objekte“, die erst durch den Akt der Dokumentation als solche definiert werden. Die Zeichnung O.T. 2013 hingegen, die als eine Art Präludium der Ausstellung fungiert, nimmt, gefiltert durch die Sensibilität und die gestalterische Idiosynkrasie der Künstlerin, das binäre Prinzip von Let’s dance vorweg und prägt ihm eine andere ontologische Signatur auf: Zwei offene Boxen, die nur durch ihre Umrisslinien definiert werden, sind durch ein textilförmiges Material miteinander verbunden. Die reduktionistische Ästhetik der Zeichnung variiert formale Prinzipien, die Julie Hayward bereits bei früheren Arbeiten (Transformator, TV-Baby) erprobt hat: die Verbindung von biomorphen Gestalten, von gerundeten Formen und soften Linien mit den geradlinigen Konturen eines klar definierten geometrischen Körpers, der für Struktur und rationale Klarheit steht.
Durch die lose Verknüpfung der Boxen stellt sich die Zeichnung trotz einer homologen Prononcierung des dualen Prinzips in einen gewissen Gegensatz zu der unerbittlichen Umklammerung jener sowohl formal wie inhaltlich weniger klar stratifizierten Objekte, die in Let’s dance Tanzschwindel und Drehekstasen evozieren. „Tanz, Trunkenheit, toxische Exzesse, Selbstverstümmelungen usw. sind von außen nach innen angesetzte Handlungsreihen“, schreibt Arnold Gehlen, „und die in ihnen gewollte Übersteigerung und Hypertension der Affektivität und Sensibilität erreicht höchste Grade, weil die aufgelösten Hemmungsenergien in die Dynamik mit eingehen, so zu einer als beglückend empfundenen Befreiung und Entlastung des Menschen von sich führend.“
Einige Skulpturen von Julie Hayward, die wie schockgefrorene Manifestationen solcher kinetischer Verheißungen wirken, werden in der Filmarbeit „Suck“, die die Ausstellung abschließt, in jenen Seinsmodus übersetzt, der ihnen als entelechetisches Prinzip eingeschrieben ist: Zeichentricktechnik bringt die Objekte zum Laufen, die sich wie urweltliche Ungeheuer im Raum bewegen und mit ihren Tentakeln festen Halt zu finden versuchen. Let’s dance, for fear your grace should fall.
Die Ausstellung „Subliminal“ entwirft somit auf knappestmöglichem Raum einen panoramatischen Blick auf die Kunst von Julie Hayward. Sie deutet den Weg an, der von der Zeichnung zur Dreidimensionalität führt, sie berauscht sich an den Paradoxien von Stasis und Hypertension, die im stillgestellten Artefakt subliminal vibrieren. Sie stellt Fragen nach Ähnlichkeit und Differenz, nach ontologischer Stabilität und transzendentaler Obdachlosigkeit.
Subliminal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Reize aktiviert werden, die die Schwelle des Bewusstseins nicht überschreiten. Dass unter jener Oberflächenschicht, die für den Blick und den tastenden Zugriff erreichbar ist, andere, kryptischere Energien wirken. Die Künstlerin hat mehrfach beschrieben, welcher Arbeitsprozess ihren Formerfindungen zugrunde liegt: Die Werke würden aus der Zeichnung heraus entwickelt, wobei sie versuche, die kontrollierenden Ich-Instanzen weitgehend auszuschalten und sich von der Hand führen zu lassen: „Dies passiert immer auf einem A4-Format mit schwarzem Feinleiner, der nicht kratzt und dadurch ablenkt und eine gleich bleibende Linienstärke hat. Das Format bietet einen Halt in diesem schwebendem Zustand.“
Ein archäologischer Prozess, der Formen freilegt, die in ein existenzielles Paradigma eingeschlossen seien, das zuvor weder direkt noch indirekt anzusteuern war. Obwohl Hayward betont, dass diese Konfigurationen auch als Traumgesichte nicht zu entziffern seien, scheint doch eine Art „infinit-dimensionale Traumlogik“ im Sinne Hermann Brochs am Werk zu sein, die diese skulpturalen Ausgrabungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Mimesis und Formverlust, zwischen geometrischer Organisation und Distorsion hervorzutreiben imstande ist. Es ist eine Ästhetik der Chiffren und der mehrdeutigen Symbole, die oft zuerst in den Zeichnungen auftauchen und dann auch die dreidimensionalen Arbeiten infizieren. Pfützen, Flüssigkeiten, zäher Schleim – liquide Manifestationen aus der Welt der Erscheinungen werden in den Polyesterlegierungen des künstlerischen Werks zu statischen Festlegungen, die mit der Dialektik von anorganischer Präsenz und Elan vital ein Spiel ohne Grenzen inaugurieren. In der Arbeit „I wanna go home“ scheint eine schräg aufgestellte Figur, deren Konturen an einen überdimensionalen Granatwerfer erinnern, in einer Pfütze festzukleben: eine „Abschussrampe für die Seele“, deren transzendentale Füllstoffe bereits in die Umlaufbahn geschossen wurden, während die Hülle nach den Gesetzen der Schwerkraft zurückbleiben musste. Es geht um die Präsenz der Leere und die Absenz der ontologischen Verdichtung; um eine künstlerische Behauptung, die das Schändlich-Unwelthafte (Toni Negri) mit dem energetischen Karma einer über sich selbst hinausweisenden Existenz in ein ständig permutierendes Spannungsverhältnis setzt. Bei Ohne Titel wiederum ist die Form der Form die Form, die neue Formlosigkeiten hervortreibt: „I’m fixing a hole where the rain gets in. And stops my mind from wandering.“ (Beatles)
Catch me if you can, wo ebenfalls eine Pfütze zu sehen ist, spannt sich als flexible Epidermis voller Oberflächenspannung auf, in der etwas Lebendiges – oder: etwas Untotes? – wirkt, das einer Kontrolle durch Ich-Instanzen oder Überich-Gralswächter zu echappieren scheint. Vielleicht eine künstlerische Sichtbarmachung des Realen von Lacan? Das nicht Imaginäre und nicht Symbolisierbare, das außerhalb der normalen Realität Liegende und Verdrängte, das diese bedroht? In jedem Fall ein Stratum basale, eine Basalzellschicht, in der künstlerische Zellteilungen aller Art stattfinden können: the Horror, the Horror.
Es gibt einen Genstrang, der als fertiles künstlerisches Programm fast alle Arbeiten von Julie Hayward durchzieht: jene subliminalen Strukturen, die als Hintergrundstrahlung existenzieller Aktualisierungen im Verborgenen wirken und als unterschwellige Gefühle Beziehungen steuern und die Verankerung des Seins in der Welt determinieren. Es geht um die unaufgelöste und unauflösbare Konfliktbeziehung zwischen transzendentaler Obdachlosigkeit und jener „ontological security“, von der Anthony Giddens spricht: die Korrespondenz routinisierten Handelns mit dem Sicherheitsbedürfnis der Akteure. In dieser Spannungszone des Seins, wo die Träume noch nicht zu erzählbaren Gebilden geworden sind und die Widersprüche der menschlichen Seele, die, wie Hermann Broch schreibt, „Gut sowie Böse, Schwarz wie Weiß, Orgie wie Askese“ birgt, sich offenbaren, wagt Julie Hayward wesentliche Schritte ins Ungegangene und versucht, lang Geahntes in den Bereich des Sichtbaren herüberzuleiten.
Durch das Kunstwerk sei dem Menschen eine Annäherungsmöglichkeit an die ihm zutiefst innewohnende Logik gegeben, hat Broch an anderer Stelle geschrieben: Formen und Farben, Bilder und Strukturen würden aufeinander wirken, sich gegenseitig erhellen und ergänzen. Dies sei die einzige Art, um aufzeigen zu können, „wie die höchsten geistigen Ziele des Menschen unmittelbar mit seinem kaum erahnbaren Wesensgrund verknüpft sind und sich aus diesen rein triebhaften Wurzeln in direktem Wachstum entwickeln können“.
Mag es diese Traumlogik sein, die am Wesensgrund von Julie Haywards künstlerischer Energie wirkt, mag es sich um eine individuell appropriierte Variation des automatischen Schreibens der Surrealisten handeln, eine Art Dessin automatique oder um die ästhetische Praxis, den prozessualen Akten des Unbewussten eine visuelle Gestalt zu verleihen: Wesentlich ist, das am existenziellen Nicht-Ort zwischen Erinnerung und Vergessen eine sehr subjektive formale Eigenart hervortritt, die doch Verbindlichkeit und Anschlussfähigkeit beanspruchen darf und zwischen Wesen und Erscheinung vermittelt. „Wir können die Welt nur so wahrnehmen, wie sie uns erscheint“, schreibt Christoph Türcke in „Philosophie des Traums“. „Aber Erscheinungen sind immer bloß eine Außenseite: Erscheinungen von etwas, was selbst nicht erscheint. Dies in den Erscheinungen Verborgene, das sich nur ‚spekulativ‘, will sagen denkend, nicht durch die Sinne, erfassen lässt, heißt in der Philosophie dann ‚Wesen‘, ‚Substanz‘ oder ‚An sich‘.“ In Julie Haywards Kunst glaubt man zumindest den Anhauch dieses „An sich“ zu spüren, einen Schmetterlingsflügelschlag der „Substanz“ zu erleben. Put on your red shoes. Let’s dance!