Schatten des Paradoxen
Zu den jüngsten Skulpturen »… elsewhere« und »big mama«
Andreas Höll
»Wahr ist Kunst, soweit das aus ihr Redende und sie selber zwiespältig, unversöhnt ist, aber diese Wahrheit wird ihr zuteil, wenn sie das Gespaltene synthetisiert und dadurch erst in seiner Unversöhnlichkeit bestimmt. Paradox hat sie das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen.« (Ästhetische Theorie)
Nach Theodor W. Adorno gibt es kein simples Schwarz-Weiß bei einem gelungenen Kunstwerk. Im Gegenteil: Gehalt und Form werden bestimmt von Zwiespalt und Synthese, Konflikt und Versöhnung, Divergenz und Homogenität.
Auch das Werk von Julie Hayward ist geprägt von der spannungsvollen Einheit des Disparaten. Es geht um die Dialektik von Technik und Natur, Leben und Kunst, Bewußtem und Unbewußtem, Ausgedachtem und Empirischem, Vorgefundenem und Erfundenem. Dabei entwirft die Künstlerin imaginäre Topographien, welche schon im Titel anklingen: »… coming home« verweist auf die Heimat als Fremde, während eine neuere Arbeit »… elsewhere« heißt und auf ein unheimliches, doch irgendwoher bekanntes Anderswo anspielt.
Beide Arbeiten kreisen um verschiedene Pole: Introvertiertheit und Extrovertiertheit, hell und dunkel, Psyche und Biologisches, Schöpfung und Destruktion, Mythos und Maschine, Ruhe und Bewegung. Während bei »… coming home« die Kugeln in einem futuristischen Schutzraum geborgen sind, scheinen sie bei »… elsewhere« an langen Fäden ausgespuckt, um wiederum in Schüsseln eingefangen zu werden. Diese zellartigen Perlen können als Biomasse gelesen werden, aber ebenso gut auch als Visualisierungen des Selbst, das ausgeschieden, dann wieder sorgfältig eingesammelt, zusammengehalten und beschützt wird.
Die Skulptur »… elsewhere« mag zudem einen feuerspeienden Vulkan evozieren, der erstarrt ist. Diese Erinnerung an einen eruptiven Schöpfungsprozeß kontrastiert mit der vermeintlichen Bewegungslosigkeit von »… coming home«, die vielleicht jeden Moment zu Ende sein kann. Vor allem aber zeigt sich die Polarität beider Plastiken in der Farbgebung und im Material: Während »… coming home« ein Finish aus weißem Lack hat, ist »… elsewhere« mit schwarzem Kunstleder überzogen.
Mit der Metaphorik von schwarz und weiß, Licht und Schatten – die bei Hayward immer auch psychoanalytisch gedeutet werden kann – spielen aber nicht nur die imaginären Topographien, die hier entworfen werden. Auch die Anthropomorphismen, die in manchen Arbeiten beschworen werden, wenn Maschinen Menschennamen tragen, funktionieren nach diesem Prinzip: »TV-Baby« erstrahlt in einem hautähnlichen Rosa, während »big mama« wiederum schwarz ist und dank der Verwendung von Kunstleder auch eine sexuelle, fetischartige Qualität gewinnt. Bei »big mama« indessen wird eine weitere Dialektik beschworen, nämlich die von Eros und Thanatos. Denn die Arbeit erinnert zugleich an eine Kanone und ein Grab.
Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem die Zeichnung, die der Ausgangspunkt für diese Arbeit war. Sie zeigt einen Raum, über dem ein leeres Gesicht thront. Im Innern sind Särge, unter denen sich der Raum öffnet: Kügelchen fallen heraus, um in Rohren abgefüllt zu werden. Man denkt an Maschinen, die vielleicht gerade stillstehen.
Das stilisierte Gesicht erinnert zudem an eine islamische Frau, die einen Schleier trägt und nur einen Sehschlitz frei läßt. So deutet sich in der Zeichnung auch ein aktueller politischer Bezug an, der bei der Skulptur jedoch bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert wird: Das Gesicht ist als solches nicht mehr auf den ersten Blick identifizierbar, die Särge sind verschwunden.
»big mama« und »… elsewhere« bilden nicht nur farblich und formalästhetisch einen deutlichen Kontrapunkt zu den früheren Arbeiten von Julie Hayward. Und doch sind sie Widerspruch und Ergänzung in einem. Sie sind die Schatten des paradoxen Kunstwerks, das, wie Adorno so schön formulierte, »das Gespaltene synthetisiert und dadurch erst in seiner Unversöhnlichkeit bestimmt«.
Erschienen im Eigenverlag
Julie Hayward, Zeichnung und Skulptur, 2005
Andreas Höll
»Wahr ist Kunst, soweit das aus ihr Redende und sie selber zwiespältig, unversöhnt ist, aber diese Wahrheit wird ihr zuteil, wenn sie das Gespaltene synthetisiert und dadurch erst in seiner Unversöhnlichkeit bestimmt. Paradox hat sie das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen.« (Ästhetische Theorie)
Nach Theodor W. Adorno gibt es kein simples Schwarz-Weiß bei einem gelungenen Kunstwerk. Im Gegenteil: Gehalt und Form werden bestimmt von Zwiespalt und Synthese, Konflikt und Versöhnung, Divergenz und Homogenität.
Auch das Werk von Julie Hayward ist geprägt von der spannungsvollen Einheit des Disparaten. Es geht um die Dialektik von Technik und Natur, Leben und Kunst, Bewußtem und Unbewußtem, Ausgedachtem und Empirischem, Vorgefundenem und Erfundenem. Dabei entwirft die Künstlerin imaginäre Topographien, welche schon im Titel anklingen: »… coming home« verweist auf die Heimat als Fremde, während eine neuere Arbeit »… elsewhere« heißt und auf ein unheimliches, doch irgendwoher bekanntes Anderswo anspielt.
Beide Arbeiten kreisen um verschiedene Pole: Introvertiertheit und Extrovertiertheit, hell und dunkel, Psyche und Biologisches, Schöpfung und Destruktion, Mythos und Maschine, Ruhe und Bewegung. Während bei »… coming home« die Kugeln in einem futuristischen Schutzraum geborgen sind, scheinen sie bei »… elsewhere« an langen Fäden ausgespuckt, um wiederum in Schüsseln eingefangen zu werden. Diese zellartigen Perlen können als Biomasse gelesen werden, aber ebenso gut auch als Visualisierungen des Selbst, das ausgeschieden, dann wieder sorgfältig eingesammelt, zusammengehalten und beschützt wird.
Die Skulptur »… elsewhere« mag zudem einen feuerspeienden Vulkan evozieren, der erstarrt ist. Diese Erinnerung an einen eruptiven Schöpfungsprozeß kontrastiert mit der vermeintlichen Bewegungslosigkeit von »… coming home«, die vielleicht jeden Moment zu Ende sein kann. Vor allem aber zeigt sich die Polarität beider Plastiken in der Farbgebung und im Material: Während »… coming home« ein Finish aus weißem Lack hat, ist »… elsewhere« mit schwarzem Kunstleder überzogen.
Mit der Metaphorik von schwarz und weiß, Licht und Schatten – die bei Hayward immer auch psychoanalytisch gedeutet werden kann – spielen aber nicht nur die imaginären Topographien, die hier entworfen werden. Auch die Anthropomorphismen, die in manchen Arbeiten beschworen werden, wenn Maschinen Menschennamen tragen, funktionieren nach diesem Prinzip: »TV-Baby« erstrahlt in einem hautähnlichen Rosa, während »big mama« wiederum schwarz ist und dank der Verwendung von Kunstleder auch eine sexuelle, fetischartige Qualität gewinnt. Bei »big mama« indessen wird eine weitere Dialektik beschworen, nämlich die von Eros und Thanatos. Denn die Arbeit erinnert zugleich an eine Kanone und ein Grab.
Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem die Zeichnung, die der Ausgangspunkt für diese Arbeit war. Sie zeigt einen Raum, über dem ein leeres Gesicht thront. Im Innern sind Särge, unter denen sich der Raum öffnet: Kügelchen fallen heraus, um in Rohren abgefüllt zu werden. Man denkt an Maschinen, die vielleicht gerade stillstehen.
Das stilisierte Gesicht erinnert zudem an eine islamische Frau, die einen Schleier trägt und nur einen Sehschlitz frei läßt. So deutet sich in der Zeichnung auch ein aktueller politischer Bezug an, der bei der Skulptur jedoch bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert wird: Das Gesicht ist als solches nicht mehr auf den ersten Blick identifizierbar, die Särge sind verschwunden.
»big mama« und »… elsewhere« bilden nicht nur farblich und formalästhetisch einen deutlichen Kontrapunkt zu den früheren Arbeiten von Julie Hayward. Und doch sind sie Widerspruch und Ergänzung in einem. Sie sind die Schatten des paradoxen Kunstwerks, das, wie Adorno so schön formulierte, »das Gespaltene synthetisiert und dadurch erst in seiner Unversöhnlichkeit bestimmt«.
Erschienen im Eigenverlag
Julie Hayward, Zeichnung und Skulptur, 2005